Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
Vom Netzwerk:
krankgefeiert hat. Dann die Verwandlung.
    Ab und zu passierte es, dass er in diesen Monstern etwas erkannte, dass sie wie jemand aussahen, den er gekannt oder geliebt hatte. Laborpartner in der achten Klasse oder schlanke Kassiererin im Minimarkt, College-Freundin im Frühjahrssemester des ersten Jahrs. Onkel. Er verlor Zeit, während sein Verstand um sich selbst kreiste. Er hatte gelernt, die anstehenden Aufgaben zu erledigen, aber gelegentlich fixierte er sich auf Augen oder einen Mund, die zu jemand Verlorenem gehörten, und suchte nach Übereinstimmungen. Er war sich noch nicht schlüssig, ob es ein Vorteil war, jemand Bekannten oder Nahestehenden in diese Kreaturen hineinzuprojizieren. Eine »erfolgreiche Anpassung«, wie der Lieutenant das formulierte. Wenn Mark Spitz darüber nachdachte – wenn sie nachts im Loft irgendeines reichen Wichsers biwakierten oder auf dem Boden eines Wall-Street-Besprechungsraums bis zum Kinn in ihrem Schlafsack lagen –, dann adelten vielleicht folgende Erkenntnisse seinen Einsatz: Er verrichtete einen Akt der Barmherzigkeit. Diese Dinger waren vielleicht einmal Menschen gewesen, die er kannte, hätten es jedenfalls sein können, waren Angehörige von jemandem und verdienten es, von ihrem Bluturteil erlöst zu werden. Er war ein Todesengel, der sie auf ihrer verzögerten Reise aus dieser Sphäre geleitete. Kein bloßer Kammerjäger, der Schädlinge bekämpfte. Er schoss Miss Alcott ins Gesicht, sodass die Ähnlichkeit zu rotem Nebel zerstob, und dann presste es ihm sämtliche Luft aus der Lunge, und er lag auf dem Teppich.
    Das im bonbonrosa Kostüm hatte ihn umgerempelt – das Marge hatte ihn mit seinem aggressiven Nachsetzen aus dem Gleichgewicht gebracht, und sobald ihn das neue gerammt hatte, kam er nicht mehr hoch. Es saß rittlings auf ihm, und er spürte, wie sich das Gewehr in seinen Rücken drückte; bei seinem Boxenstopp am Fenster hatte er es sich umgehängt. Er schaute in die graue Haarspinnwebe des Skels. Die daraus vorstehenden Nadeln, der dumme Gedanke: Wie lange hat es gedauert, bis ihm die Perücke abgefallen ist? (In solchen Situationen verlangsamte sich die Zeit, um der Furcht eine größere Bühne einzuräumen.) Das auf ihm sitzende Ding krallte sich mit seinen sieben verbliebenen Fingern in seinen Hals. Die anderen Finger waren am Knöchel abgebissen worden und kullerten wahrscheinlich im Bauch einer seiner ehemaligen Kolleginnen herum. Ihm ging auf, dass er bei seinem Sturz seine Pistole fallen gelassen hatte.
    Das da besaß jedenfalls die Entschlossenheit, die einem wahren Personaler anstand, von Naturbegabung und Ernährung zu dessen würdigem Avatar geformt. Die Neukalibrierung der jeweiligen Fähigkeiten durch die Seuche vervollkommnete nur die vorhandenen Eigenschaften. Mark Spitz’ erster Bürojob hatte darin bestanden, mit einem Karren die Flure einer Personalverwaltung entlangzurattern, die in einem Büropark in Hempstead, nicht allzuweit von zu Hause entfernt, lag. Als Kind war er zu dem Schluss gekommen, dass der Komplex eine Art Clearinghaus für Militäraufklärung war, weil er die gleichmütige Fassade fälschlich für geheime Macht gehalten hatte. Der Schleier wurde schon am ersten Tag gelüftet. Die anderen Typen in der Poststelle waren in seinem Alter, und wenn der Chef seine Bürotür schloss, ging das dämliche Gejohle los. Der einzige Wermutstropfen war das weibliche Ungeheuer von der Personalabteilung, das sich, was Mark Spitz’ Papierkram anging, unerbittlich gezeigt und geradezu heimtückisch auf diesem oder jenem Formular, den richtigen Referenzen bestanden hatte. Die Frau diente den Stellen, wo Menschen zu Zahlen paraphrasiert wurden, Komponenten aus gebündelten Daten, dazu da, durch Glasfaserkabel zu einer Bedeutung geschossen zu werden.
    »Ohne vollständige Unterlagen kann Ihre Gehaltsabrechnung nicht weiterverarbeitet werden.« Woher sollte er wissen, wo seine Sozialversicherungskarte war? Sein Zimmer war eine Höhle. Er brauchte spezielles Ausgrabungswerkzeug, um Socken zu finden. »Sie sind nicht im System. Genauso gut könnten Sie gar nicht existieren.« Wo war das System jetzt, nach der Katastrophe? So lange hatte es als unsichtbare Faust über ihnen geschwebt, und nun waren die Finger offen, getrennt, und alles zerrann zwischen ihnen, alles entwich. Im August war er eilends in die Dienstleistungsbranche zurückgekehrt, hatte am Damentag Grenadine-Martinis serviert. Er versuchte, die ehemalige Personalerin von sich

Weitere Kostenlose Bücher