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Zone One: Roman (German Edition)

Zone One: Roman (German Edition)

Titel: Zone One: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colson Whitehead
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entlang zu einem Versteck, das sie sich ausgeguckt hatten, wie Erstsemester im Bann einer Vorstellung vom coolsten Wohnheimzimmer. Nach vier Blocks waren sie unverkennbar in der Domäne von Wonton, schmerzlos in die Gemeinschaft integriert. Mark Spitz erinnerte sich an seine erste Fahrt in einem Militärfahrzeug, dem gepanzerten Koloss, der ihn aus dem großen Draußen herausgeholt hatte. Als er durch die Luke hinauskletterte und blinzelnd die Lampen der äußeren Umgrenzung und die Nester der Wachposten – die Ordnung in all ihren Erscheinungsformen – betrachtete, wusste er, dass er eine Rolle in einer neuen Produktion bekommen hatte. Das hier war keine notdürftige Befestigung ausgelaugter Wanderer, zusammengehalten von Blut und Selbsttäuschung, das hier war der Staat. Das war der Wiederaufbau. Das Ende in der Schwebe.
    Seine letzte Nacht im Ödland spielte sich am Stadtrand von Northampton, Massachusetts, ab, Nachbarstaat des abscheulichen Connecticut, aber trotzdem ganz anders. Wochenlang hatte Mark Spitz sämtliche Städte bis auf die kleinsten gemieden, weil er richtiger- oder falscherweise wahrzunehmen meinte, dass die Toten in letzter Zeit von den großen Bevölkerungszentren angezogen wurden. Oder, anders betrachtet, die früheren Bevölkerungszentren wiederbevölkerten. Dort jedenfalls kam es ein ums andere Mal zu Komplikationen. Viele Monate lang hatte ein Gefahrengleichgewicht zwischen Land und Stadt geherrscht. Inzwischen war die Dichte draußen auf dem Land geringer. Wenig Sichtungen, wenig Angriffe, weniger Rückgriffe auf sein Reservoir von Fluchten in letzter Minute. Keiner, mit dem er sich zusammentat, bestätigte seine Beobachtungen, aber er ließ sich nicht beirren. Sie scharten sich zusammen, die Toten; er erspähte eher Grüppchen oder Paare von Idioten als Einzelexemplare, und sie hielten sich an die Straßen und menschengemachten Wege in die Städte. Als er auf das Farmhaus bei Northampton stieß, war er von seiner neuen Reiseart überzeugt und umging auf seiner neuesten Karte alles, was einer Stadt ähnelte, während er in Richtung Norden zog. Seine Theorie war nicht wertloser als diejenigen, die andere Überlebende vortrugen.
    Das Farmhaus war mustergültig und elegant, stach von dem verwilderten Rasen und den angrenzenden Feldern ab und ragte wie ein Eisberg aus den emsigen Wildblumen und Gräsern. Es wurde allmählich dunkel, und er musste irgendwo schlafen, entweder drinnen oder auf der Veranda, je nachdem, wie er sich fühlte, sobald er das Anwesen inspiziert hatte. Ihm war heute unbekümmert zumute, das Wetter war schön, und er hatte die Sternbilder noch nicht sattbekommen. Auf halbem Weg zur Eingangstür zog sich etwa sechzig Zentimeter über dem Boden ein um Holzpflöcke gewundener Draht, an dem leere Dosen und rostige Metallstreifen befestigt waren, um das Haus. Eine Linie aus Zauberpulver, die böse Geister fernhielt. Das Alarmsystem war intakt. Bretter von einem zerlegten Schuppen oder einem sonstigen Nebengebäude, verwittert auf der einen und makellos auf der anderen Seite, waren fest und gleichmäßig vor die Fenster beider Geschosse genagelt worden, so gleichmäßig, dass er es, wären sie weiß gestrichen gewesen, für eine ästhetisch motivierte Entscheidung gehalten hätte. Aus den Ritzen zwischen den Brettern drang kein Licht nach draußen; die verdunkelten Fenster erlaubten es den Bewohnern, sich nachts im Haus zu bewegen.
    Das war kein hastig zusammengeschusterter Zufluchtsort, sondern ein mit Bedacht errichteter Bunker. Seine Architekten hatten vor, die Katastrophe hier zu überdauern. Mark Spitz sah keinerlei Anzeichen dafür, dass die Burg gefallen war, kein Brettergewirr vor einem kaputten Fenster, wo sich die Horden einen Spalt zunutze gemacht hatten. Die Haustür war fest geschlossen und stand nicht sperrangelweit offen, was das sichere Zeichen überstürzter Flucht gewesen wäre. Bald würde es dunkel sein. Mark Spitz ruckte zweimal an dem Draht und stieg, die Hände in Schulterhöhe, langsam die Eingangstreppe zu der umlaufenden Veranda hinauf.
    Er machte sich durch Rufen bemerkbar. Sie hatten Zeit gehabt, ihn durch ihr Guckloch zu taxieren, das er noch nicht ausfindig gemacht hatte. Gut für sie. Er klopfte. Er trat zurück, entschied sich für die Seite des Hauses ohne Veranda und pirschte auf die Rückseite. Es war nur höflich, ihnen mehr Zeit zum Überlegen zu geben. Er prägte sich, falls er später darauf zurückkommen musste, Lage und Anzahl der

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