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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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eine Zufahrtsrampe für Lastwagen kürzte er den Weg zum Tangoclub ab. Der Schriftzug über der Tür war beleuchtet, Club Argentino. Hier unterrichtete Carmen.
    Im Treppenhaus hörte er schon die Musik. Carlo Disarli. Er nahm die Stufen im Tangotakt, betrat mit wiegendem Schritt den Raum.
    Spärliches Licht, den Wänden entlang Sessel, runde Tischchen mit welken Rosen in Vasen, Sofas aus dem Brockenhaus. Bei der Bar standen einige Paare in Reihe auf dem Parkett. Adriana schwang sich locker auf einem Bein hin und her. «Das ist der Ocho, ein Grundschritt. Einfach, aber präzis und schön im Takt. Hört auf die Musik beim Führen, meine Herren. Und reisst die Dame nicht zu Boden.»
    «Hey Hermi», rief Adriana. «Gut, dass du kommst. Es fehlt noch ein Herr.»
    Sie winkte, wandte sich an die Gruppe. «Das ist Hermann, ein brillanter Tanguero. Mit ihm kannst du den Ocho perfekt üben, Ruth.»
    «Ich hab doch die falschen Schuhe an», wandte Hermann ein.
    «Macht nichts. Den Ocho führen geht für dich auch so.» Das war Adriana. Locker und autoritär. Hermann wagte nicht zu widersprechen. Er fasste die Dame Ruth unterhalb der Schultern um einen breiten Rücken. Sie war ganz in Schwarz gehüllt, hundert Kilo, schätzte er, während sie sich schwerfällig schwang, etwas verzögert zum Takt.
    «Hast du keinen Tanzpartner?»
    «Der Typ hat mich versetzt.»
    Kann ich irgendwie nachfühlen, dachte Hermann. Er war ja auch nicht das grosse Talent und bemühte sich, der korpulenten Ruth nicht zu tief zwischen die Brüste zu schauen, wenn sie im Ocho hin und her pendelte. Mit der Hand fühlte er, wie ihr Kleid im Rücken immer feuchter wurde. Das war keine zweite Carmen Calderón, und es war auch nicht seine angebetete Carmen. Er schloss die Augen, riss sie auf, als sie mit Wucht in ein anderes Paar prallten. «Entschuldigt, entschuldigt …»
    Nach einer gefühlten Unendlichkeit kam die Tanzstunde zu einem Ende. Erschöpft liess sich Hermann auf einem Barhocker nieder, bestellte ein Red Bull. Ruth setzte sich neben ihn. «Ich lade dich ein, du hast mir aus der Patsche geholfen.»
    «Na dann, Prost.»
    «Kommst du wieder mal?»
    Hermann schüttelte den Kopf. «Bin nur zufällig vorbeigekommen.»
    «Schade.»
    Er winkte Adriana, die ein Paar auf der Tanzfläche zu einer Sacada anleitete. Privatstunde. Sie schaltete Musik ein, das Paar drehte sich, Ocho, dann tief mit dem Fuss zwischen die Beine der Frau. Schwierig, schwierig.
    «Das schaffe ich wohl nie», seufzte Ruth und nippte an einem Baileys.
    Hermanns Gedanken drifteten weg. Ruth schwatzte in sein Ohr, drängte sich an ihn, suchte Körperkontakt, roch nach Schweiss. Er sah seinen Film. Carmen, das Leben einer Tanguera. Der Tanz als Befreiung, als revolutionäre Kraft. Tanguerilla!
    «Trinkst du noch etwas?»
    «Danke, ich muss gehen.»
    «Begleitest du mich? Ich hab ein bisschen Angst allein hier in der Gegend. Kürzlich wurde eine Frau überfallen, gleich um die Ecke.»
    Mein Gott, wie das Leben spielt, dachte Hermann. Ruth ging sich umziehen, er zupfte Adriana an der Bluse. «Was von Carmen gehört?»
    «Ist die nicht in Buenos Aires?»
    «Sie ist einfach weg. Schon zwei Wochen. Antwortet auf kein SMS .»
    «Ach, so ist sie, mach dir keine Sorgen. Wird schon wieder.»
    «Ich brauch sie doch für den Film»
    «Ich weiss, ich weiss.» Adriana wandte sich wieder dem Paar zu.
    Die dicke Ruth stand im Mantel bei der Tür, Tanzschuhe in der Tasche. Na dann, dachte Hermann. Vielleicht war das wieder eine jener Sekunden, in denen man sich entscheiden musste.

    Robert lag wach. Er fröstelte, seine Füsse waren kalt. Er versuchte sie in die Decke zu wickeln, doch wenn er sich drehte, lagen sie wieder bloss. Die nassen Socken hatte er über einen Heizkörper gelegt, der jedoch kalt blieb.
    Die Begegnung mit Ariane hatte ihn an Sara erinnert. Sie war etwa in dem Alter gewesen, lebte bei ihrem Vater in Zollikon, einem Manager mit Sportwagen, Segeljacht und blonden Freundinnen. Sie hasste ihn und liess sich doch aushalten, war an der Uni eingeschrieben, ohne regelmässig Vorlesungen zu besuchen. Nahm dafür an allen Teach-ins, Hörsaalbesetzungen, alternativen Veranstaltungen über Marxismus und antifaschistischen Wochen teil.
    Eines Abends berichtete sie, sie wisse von ihrem Alten, dass seine Firma Waffen nach Chile liefere, wo die Armee eben die sozialistische Regierung von Salvador Allende weggeputscht hatte. Sie sassen im Keller des Café Boy, und Robert glaubte sich zu erinnern,

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