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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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wandte sich Hermann zu, der auf Irina einredete mit seiner heiseren Stimme und dazu unablässig mit einem Taschentuch die Nase tupfte. Von Stoff war die Rede. Rotes Tuch für ein Transparent.
    Sie stützte ihre rosigen Arme auf die Theke, die Hände wie zum Gebet gefaltet. «Rotes Tuch, sagst du?» Sie lachte laut heraus, ihre Brüste waberten. «Wir sind doch kein Textilsalon.»
    «Ein Leintuch oder sowas wirst du wohl entbehren können.»
    «Leintuch, sehr teuer. Beste Qualität, weisst du. Wird strapaziert.»
    «Du bist mir noch was schuldig.»
    «Moment mal.» Sie stand auf.
    Ein Mann schob sich aus einem Korridor ins diffuse Licht, drückte sich vorbei, den Blick auf den Boden gerichtet. Dabei knöpfte er hastig seinen Mantel zu. Irina begleitete ihn zur Tür, hängte die Kette hinter ihm ein. Eine Dusche zischte. Kurz darauf stöckelte eine Nixe in High Heels ins Bild. Sie sah aus wie die Zwillingsschwester der Blonden, aber mit Haaren wie schwarzer Lackdraht. Chicago, dachte Robert, The Lake Shore Hotel. Rowena, halb Hispanic, halb Irin, Studentin in Deutsch und Literatur an der University of Chicago. Hier hatte Präsident Obama Vorlesungen in Verfassungsrecht gehalten. Ein Kollege also. Den Job und die Gelegenheit zum Seitensprung verdankte er der Protektion seines Schwiegervaters. Die Uni war eine Gründung von Baptisten, die noch immer ihren Einfluss ausübten. Rowena besuchte sein Seminar über neuere Deutsche Literatur und ging mit ihm ins Bett. Er frisierte ihre Zensuren, ein fairer Deal, fand er. So schlecht war sie ja auch wieder nicht, schrieb anständige Essays über Max Frisch und Robert Walser, ein Gutteil aus dem Internet kopiert. Brav spielte sie ihre Rolle, verlockte, verführte, eine perfekte Schauspielerin. Doch was war echt? Auch Marilyn hatte ihren Orgasmus nur gespielt. Sara vielleicht? Er erinnerte sich nicht mehr.
    «Woher bist du?», fragte er.
    Die Nixe zog ihre Lippen kraus. «Budapest. Ungarn. Du?»
    «Amerika.»
    «Amerika schön.» Ihre Augen glänzten. Sie rutschte vom Hocker, fasste ihn bei der Hand. Ihre Brüste waren klein, ihr Körper knochig. Rowena, dachte er. Was ist wohl aus dir geworden? Lehrerin in einem traurigen Kaff im Midwest, mit einem Schweinezüchter verheiratet, vier Kinder und Träume im Kopf, aus dem du deinen alten Professor verdrängt hast, mit vielen Gebeten. Trotz seiner Unterstützung war sie durch Prüfungen gefallen, verschwunden, abgemeldet nach irgendwo. Sie beende ihre Studien in Madison, Wisconsin, wusste das Sekretariat. Er forschte nicht weiter nach ihr.
    Hermanns krächzendes Kichern riss ihn aus Gedanken. Er kam durch den Korridor, den Walfisch im Schlepptau, ein rotes Leintuch gefaltet unterm Arm. «Was findest du? Stoff aus dem Puff. Das passt doch.»
    Er blieb bei der Tür stehen. «Komm. Kannst ja später nochmals herkommen, wenns dich juckt.» Er grinste blöd.
    Robert schüttelte den Kopf, folgte ihm. Der Schmerz in seinem Bauch war weg, da war nichts mehr, seit langem nicht mehr. Nur noch Wunschträume und erotische Fantasien.
    «Wir offen bis zwei Uhr», raunte die Dicke. «Machts gut.» Sie ballte ein Fäustchen, Ringe an allen Fingern.
    In seiner Wohnung schnitt Hermann mit der Schere das Leintuch in zwei breite Streifen, heftete sie mit Bostitch zu einem Transparent zusammen. Mit Bleistift entwarf er Buchstaben auf Papier, die Robert mit einem Federmesser ausschneiden musste.
    «Schablonen, weisst du noch wie?»
    Robert wusste wie. Hermann hatte eine Lehre als Buchdrucker gemacht, bevor er ein Soziologiestudium begann. Flugblätter, Transparente, Zeitschriften gestalten war sein Element gewesen. Auch jetzt geriet er ins Feuer. Die Sommersprossen zeichneten helle Tupfen in sein glühendes Gesicht. Er legte Buchstabe um Buchstabe aufs Transparent. Mit einer Dose Color-Haarspray aus dem Salon sprühte er schwarze Farbe über die ausgesparten Formen. Am Ende legte er das Transparent am Boden aus. «Sieht doch super aus, oder nicht?»
    «Stoppt Tscharner! Kein Spitzel an die Spitze der Stadt!»
    Die vier grossen S hatten die Form zackiger Blitze, wie im Schriftzug von Hitlers ss-Truppe.
    «Hatten wir nicht einen andern Slogan abgemacht?»
    Hermann griente. «Klar, aber der ist doch besser.» Er strich sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst hatte. «Fantasie an die Macht, hiess es doch.»
    «Du hättest als Grafiker Karriere machen können.»
    Hermann knüllte die Papierschablonen zusammen, warf sie in

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