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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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einer Aktion nach dem Ungarnaufstand 1956. Doch bevor wieder eine Kontroverse losbrach über die politische Einschätzung jenes historischen Ereignisses, ob Konterrevolution oder Arbeiteraufstand, schob Hermann das Blatt über den Tisch. «Unterschreiben!»
    «Wie bitte?»
    «Wir unterschreiben, mit vollem Namen. Wir stehen dazu, wir sind das Kommando Victor Jara. Keine klandestinen Aktionen mehr. Schliesslich klagen wir Toni an, er sei ein Polizeispitzel gewesen, er habe uns damals verraten.»
    Pippo knurrte, setzte einen Kritzel aufs Blatt.
    Robert zögerte. «Sozusagen unser Coming-out?»
    «Wir haben nichts zu verlieren. Alles ist verjährt und wir sind Pensionierte», meinte Hermann. «Du doch auch, oder? Gibts in Amerika überhaupt eine Pension?»
    «Ja, gewiss.» Robert setzte seinen Namen dazu, etwas ungelenk, als sei er nicht mehr gewohnt, von Hand zu schreiben. Robert Brönimann.
    «Nun noch das Transparent.» Hermann trommelte mit zwei Fingern auf den Tisch. «Vielleicht finden wir bei Irina ein Stück rotes Tuch.»

    Robert folgte Hermann ins Erdgeschoss. Die schwarze Tür mit dem Schild über der Klingel war ihm zuvor nicht aufgefallen: «Salon Irina». Hermann drückte dreimal kurz. Die Tür öffnete sich sacht einen Spalt, ein Lichtstreifen fiel auf sein Gesicht.
    «Ah, Hausmeister.» Die Sicherungskette klirrte, eine üppige Blonde stand im Zwielicht, deutete eine Verbeugung an. «Willkommen, meine Herren.»
    «Alter Freund», erklärte Hermann, tippte Robert auf die Schulter. «Das ist Irina aus Weissrussland.»
    «Belarus», korrigierte ihn die Dame. «Aber kommt rein. Neue Mädchen da.»
    Irina reichte Robert eine schweissige Hand, zog ihn in den überheizten Raum. Ihr Walfischleib, eingezwängt in ein schwarzes Kleid mit Pailletten, erinnerte ihn an Marilyn. Der Geruch ihrer Parfüms und Duftöle wehte ihm entgegen. Im ersten Augenblick wähnte er sich im Schlafzimmer zu Hause. Doch dort schwebten keine schemenhaften Gestalten durchs Schummerlicht. Wie bleiche Fische schienen sie in einem tropischen Aquarium dahinzugleiten. Eine Nixe nickte Robert zu, ebenso blond wie Irina, aber schlank und nur mit knappem Oberteil und Slip bekleidet. Ihr gezwungenes Lächeln passte nicht zu ihren weichen Bewegungen.
    «Willkommen, die Herren, willkommen.» Irina drängte ihn zur Bar, zischte der bleichen Nixe in einer fremden Sprache etwas zu. Sie reichte eine schmale Hand über die Theke, kühl wie eine Flosse, lispelte einen Namen, den er nicht verstand. Eine zweite Nixe war abgetaucht. Vielleicht hatte sich die eine bloss in den vielen Spiegeln hinter der Bar verdoppelt. Auch Robert sah sich von mehreren Seiten gespiegelt, vervielfacht. Die grauen Bartstoppeln, den Anflug des Schnurrbarts, der fast weiss war.
    Hermann setzte sich auf einen Barhocker, deutete auf den freien neben sich. Robert blieb stehen.
    «Ein Drink?» Die Nixe stellte ein Glas vor Robert hin. Eiswürfel klingelten, ein goldbraunes Getränk perlte ins Glas. Billiger Whisky. In den Spiegeln hinter der Bar sah er den nackten Rücken der Nixe, die Höcker ihrer Wirbelsäule, ihr schmales Gesäss. Keine Meerjungfrau mit schuppigem Fischschwanz. Er griff nach dem Glas, der Whisky brannte im Gaumen. Hermann prostete seinem Spiegelbild zu. «Hier verkaufte meine Mutter Schnürsenkel und Schuhwichse. Wenn sie wüsste …»
    Robert stellte sein Glas ab. «Vielleicht schaut sie vom Himmel herab.»
    «Kann sein. Verdient hat sie das Paradies auf jeden Fall.»
    «Eine gute Mutter also?»
    Hermann nickte versonnen, stützte seinen Kopf auf, als versinke er in Erinnerungen. Robert wusste, dass Hermann der Sohn eines Schusters war, eines konservativen Kleingewerblers. Er war aber nie bei ihm zu Hause gewesen. Ihre Weltanschauung hatte sie verbunden, sonst nichts.
    Eine Hand strich über seinen Oberarm, er erschauerte, die Haare sträubten sich. In der Tiefe seines Bauchs spürte er ein Ziehen, einen Schmerz beinahe. Der Atem der Nixe roch nach Tabak und toten Fischen. Ihr Gesicht wirkte aus der Nähe nicht mehr jung, die Augen erloschen. «Kommst mit?» Sie schwamm durch eine Tür neben der Theke davon. Er sah ein breites Bett, rot bezogen, Kissen, darüber einen Spiegel mit barockem Goldrand. Er kippte den Rest Whisky, glühend schoss er durch die Speiseröhre in den Magen. Robert kannte das Spiel. Das Hotel in Chicago, wo er sich mit Rowena getroffen hatte. Der Spiegel an der Wand und gegenüber das Gemälde mit den zwei Nixen an einem Felsenufer.
    Er

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