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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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mühte sich ab mit einem Lied. «Luegid vo Bärge und Tal …»
    Pippo kniff Robert in den Arm. «Da ist er!»
    Beim Tisch vor dem Rednerpult stand ein untersetzter Mann zwischen zwei bulligen Typen, sprach auf den Dicken ein. Toni Tscharner. Das Haar, das er einst bis auf die Schultern getragen hatte, spärlich und streng nach hinten gekämmt. Brille mit feinem Metallrand, Anzug mit Gilet, grüne Fliege. Die Farbe der Volkspartei. Auf der Strasse hätte ihn Robert nicht mehr erkannt, aber nun sah er, dass er wie einst, wenn er erregt war, die rechte Faust ballte und in seltsamer Zuckung nach oben schnellen liess. Er hämmerte seine Worte in die Luft. Die Geste war ihm geblieben, und auch die Art, wie er die Backen aufblies, wenn er schwieg. Er deutete zum Ausgang, der Dicke nickte.
    Mit eiligen Schritten durchquerte Tscharner den Saal, die Leute machten ihm Platz und grüssten. Er schüttelte Hände, küsste eine Trachtenfrau auf beide Wangen. Dann verschwand er beim Ausgang auf einer Treppe, die nach unten führte.
    «Er muss pissen», sagte Pippo mit vorgehaltener Hand in Roberts Ohr. «Ein Prostataleiden. Stand mal in der Zeitung.»
    Ein dummer Witz fiel Robert ein. Sein Schwiegervater pflegte ihn zum Besten zu geben, wenn er getrunken hatte. Das einzige, was bei uns im Alter noch wächst, ist die Prostata.
    Pippo packte ihn am Oberarm. «Komm!»

    Der Lärm aus dem Saal hallte durch die Toilette. Eine Spülung rauschte. Der Mann, der neben dem Kondomautomaten vor der Schüssel stand und Wasser löste, gab ein leises Stöhnen von sich.
    «Grüss Gott, Toni.»
    Pippo klopfte ihm auf die Achsel. Der Mann drehte den Kopf zur Seite. Kein Zweifel, es war Tscharner, mit gelichteten Haaren, runden Backen. So wie er ihn von Zeitungsartikeln und Fernsehauftritten kannte. Anton Tscharner kauft Radio 33, Tscharner steigt ins Multimedia-Business, Tscharners Internetfernsehen erfolgreich. Tscharner in den Kantonsrat gewählt, Tscharner Präsident der kantonalen Volkspartei, Anton Tscharner kandidiert als Stadtpräsident. Ein anderer Mensch als einst. Nur der blasierte Ausdruck seines Gesichts war geblieben. Er hatte Pippo schon immer verachtet. Pippo, der Kulak aus dem Wägital, Soldat der Revolution, der sich verheizen liess. Den man an die Front schickt und ihm dann eine Kugel in den Rücken schiesst.
    «Wie gehts immer, Toni?» Pippos Stimme bebte. Oben im Saal hatte der Chor das Lied vom Schacher Seppli angestimmt, dem braven Vaganten. Tscharner nestelte an seinem Hosenschlitz, hatte Mühe, die Knöpfe zu schliessen. Dann sah er in den Spiegel, kniff die Augen zusammen. Schaute von Pippo zu Robert, sein Mund stand offen. Die dicke Unterlippe hing auf einer Seite herab, wie leicht gelähmt von einer Streifung.
    «Kennst du uns nicht mehr?»
    «Pippo …» Ein Grinsen flog über sein Gesicht, das gepudert war für den Auftritt vor der Kamera. «Pippo, alter Kamerad. Freut mich, freut mich. Nach so langer Zeit.»
    «Genosse, nicht Kamerad!» Pippo spürte einen Hustenreiz, drückte die Faust vor den Mund.
    «Genossen, Kameraden. Ist doch Hans was Heiri. Wir wollen das Gleiche. Damals und heute. Die Freiheit, die Freiheit.» Tscharner stopfte einen Zipfel seines Hemdes in die Hosen, zog den Gürtel fest.
    «Bist auch der gleiche Schwätzer geblieben.» Pippo räusperte sich. Ein Schleimklumpen hockte ihm im Hals. Er hatte Lust, ihn Tscharner ins Gesicht zu spucken.
    «Und wen haben wir denn da? Auch ein alter Bekannter?» Tscharner sah zu Robert, der bei der Treppe stehen geblieben war. Mit düsterem Ausdruck im Gesicht, breit und drohend. «Das ist doch … der Brönimann. Der Robi.» Er machte einen Schritt, streckte seine Hand aus. «Ist das eine Überraschung. Aufgetaucht aus dem Untergrund.»
    Robert starrte Tscharner an, seine Lippen bewegten sich tonlos.
    Schritte näherten sich die Treppe herab. Im Spiegel sah Pippo hinter Robert zwei bullige Visagen auftauchen. «Alles okay, Chef?»
    «Alte Freunde.» Tscharner wedelte mit der Hand. «Komme gleich.»
    Die Bodyguards verzogen sich. Tscharner wollte ihnen folgen. «Man erwartet mich, wie ihr seht. Wir können nachher …»
    «Nein!» Pippo griff ihn am Ärmel. «Erst reden wir.»
    Tscharner riss sich los. «Was wollt ihr überhaupt?»
    Pippo sah zu Robert. Wenn er doch auch mal etwas sagen würde. Aber der stand da und glotzte Löcher in die Luft, als sei er hypnotisiert. Nur sein Mund öffnete und schloss sich, seine Finger ballten die Faust und streckten sich

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