Zopfi, Emil
Liebe war keine Liebe, das wusste er inzwischen. Marilyn war Leidenschaft gewesen, kurz und heftig, mit der Zeit nur noch langweilig und quälend. Rowena eine stille Affäre, ein Deal. Sex gegen bessere Zensuren. Er hatte die Macht, sie Eltern, die intellektuell mehr von ihr verlangten, als sie leisten konnte. Sie wäre eine gute Kellnerin oder Coiffeuse geworden, fleissig und stets ein Lächeln im Gesicht. Oder Escort-Girl. Professioneller Sex ohne Gefühl. Wie oft er auch nachdachte, immer wieder war er zu dem einen Schluss gekommen: Seine einzige wahre Liebe war Sara. Auch wenn sie mit andern ins Bett ging. Mit Toni zum Beispiel. Toni Tscharner, der ihm nun gegenüberstand, mit seinen aufgeblasenen Backen und dem Grinsen des Siegers.
«Ja Sara. Sie hat euch verpetzt damals.» Tscharner sah zur Tür und fragte sich wohl, wo seine Bodyguards blieben. Hatten sie seinen Hilferuf nicht gehört? Oben im Saal war die Hölle los. In dem Chaos hatte man den Chef vergessen.
Er wich zurück zwischen die Pissoirschüsseln und den Kondomautomaten. «Sie bekam kalte Füsse und hat alles ihrem Alten gebeichtet, dem Direktor.»
«Du lügst!» Robert trat auf Toni zu, der bleich war und schwitzte. Doch er redete hastig weiter. «Unter uns gesagt, Freunde. Sara liess sich vögeln, damit ich ihren Verrat in der Gruppe verschweige. Ich wollte euch warnen, kam aber zu spät.» Er wischte sich den Schweiss von der Stirn, wollte weiterreden, doch Roberts Rechte traf seinen Unterkiefer.
Robert spürte Tonis Zähne knacken, zog seine Faust zurück. Die Knöchel voller Blut. Nochmals schlug er zu, direkt auf die Schläfe. Tscharner schleuderte die Rechte in die Höhe, drückte sie vor sein Gesicht. Seine Linke boxte ins Leere. Er taumelte gegen die Wand, sackte zusammen. Die Brille schlitterte über die Fliesen. Verkrümmt blieb er unter den Pissoirschüsseln liegen. Sein rechtes Bein zuckte. Er stammelte etwas, Robert glaubte das Wort «Freunde» zu vernehmen. Blut floss ihm aus dem Mundwinkel über die Wange, tropfte auf den Boden.
Roberts Atem ging keuchend, sein Herz raste. Er stupfte Toni mit dem Fuss in die Seite. «Du verdammtes Schwein!»
Doch der reagierte nicht, sein Gesicht war käsig und verkrampft, ein Augenlid flackerte. Die Finger krümmten sich, versuchten sich in die Fliesen zu krallen. Er war bewusstlos oder vom Schmerz betäubt.
«Halt!» Pippos Stimme peitschte durch den Raum. Ein metallisches Klicken widerhallte.
Robert fuhr herum, sah bei der Treppe zwei Bodyguards, erstarrt und mit aufgerissenen Augen. Zögernd hoben sie ihre Hände. Pippo hielt den Lauf einer Pistole auf die beiden gerichtet. Sie zitterte in seiner Hand, doch seine Stimme klang seltsam ruhig. Beinahe sanft. «Ihr legt euch jetzt auf den Boden, Hände immer schön auf dem Kopf gefaltet. Von mir aus könnt ihr auch ein Gebet sprechen. Aber ganz leise. Wir spazieren hier hinaus. Wenn wir weg sind, zählt ihr auf zehn. Dann ruft ihr eine Ambulanz. Nummer 144.»
Immer auf den zitternden Lauf der Pistole starrend, sanken die beiden in die Knie und legten sich auf den Bauch, die Hände im Nacken verschränkt. Pippo gab Robert mit dem Kopf das Zeichen, ihm zu folgen. Robert stieg voran die Treppe hinauf, ein taumelnder Schatten. Ein Nadelstich durchs Gehirn hatte ihm Tränen in die Augen getrieben. Ich habe Toni umgebracht, schoss ihm durch den Kopf. Der Gedanke liess ihn kalt.
Tausendmal hatte er ihn ermordet in all den Jahren, wenn er sich schlaflos im Bett wälzte und sich an jenen Herbst erinnerte. Er hatte Sara geliebt. Die Nachricht, sie habe sich in ihrer Zelle erhängt, hatte ihn endgültig aus der Bahn geworfen. Eigentlich war er schuld an ihrem Tod, nicht Tscharner. Er hatte sie damals überredet, den Schlüssel zu entwenden. Sie hatten eine Kopie machen lassen, aber nicht daran gedacht, dass er nach einen Schliessplan codiert war, der nur auf ihren Vater zutraf. Zwei Tage nach der Aktion wurden Sara und ihr Vater verhaftet.
«Was ist los da unten?», vernahm er eine Stimme.
«Alles in Ordnung. Der Chef macht sich frisch für die Rede.»
«Beginnt sie denn jetzt?»
«In zehn Minuten, sagt der Chef. Ruf die Leute in den Saal.»
Der Sicherheitsmann, der oben an der Treppe stand, starrte Pippo an. «Wer bist du eigentlich? Sind nicht Jan und Paul runter?»
«Alles okay, Kollege. Sie kommen gleich rauf mit dem Chef.»
«Und das Ding da?» Der Mann deutete auf Pippos Pistole. Pippo hob den Lauf gegen seine Brust, legte einen Finger auf
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