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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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die Lippen. Dann drängte er sich durch die Männer und Frauen des Trachtenchors, die bei der Tür standen und aufgeregt durcheinanderschwatzten. Frische Luft wehte Robert entgegen, der Schmerz im Kopf liess nach. Draussen standen Raucher unter einem Wärmestrahler beim Kiosk. Pippo schritt ruhig an ihnen vorbei, um den Turm herum und zur Aussichtsplattform. Robert sah die Lichter der Stadt in der Tiefe. Dann vernahm er Rufe vom Restaurant her.
    «Dort sind sie!»
    Sie wurden vom Lichtstrahl eines Scheinwerfers erfasst. Pippo sah zurück, schützte seine Augen mit der Hand.
    «Dort, beim Fernrohr!» Eine Gruppe Männer stürzte auf sie los, der Bodyguard mit dem Bürstenschnitt voran.
    «Steig übers Geländer, da ist ein Weg», zischte Pippo. Robert sah einen schmalen Pfad, der hinter der Abschrankung steil in die Tiefe führte. In der Dunkelheit konnte er nur die ersten Meter erkennen. Er stützte sich ab, schwang seine Beine über die Eisenstange. In diesem Augenblick krachte ein Schuss direkt neben ihm. Der Knall fuhr wie ein Dolch durch seinen Kopf, schrilles Klingeln hallte nach in den Ohren. Pippo hatte geschossen. Der Scheinwerfer erlosch, die Verfolger duckten sich hinter den Kiosk und die Pfeiler des Aussichtsturms. Pippo schoss nochmals. Dann spürte Robert, wie er seine Hand ergriff. Pippo sagte etwas, doch er verstand nichts. Ein dröhnendes Konzert aus Klingeln und Pfeifen verstopfte sein Gehör.
    Pippos fester Griff flösste ihm Vertrauen ein. Er stolperte, aber Pippo stützte ihn, führte ihn ruhig und sicher in den schwarzen Abgrund.

    Pippo führte Roberts Hand zum kurzen Drahtseil, das um einen Felssporn herumführte zu einer Eisenleiter. Dann auf den steilen Grat. Er kannte den Denzlerweg, benannt nach einem Bäcker, der einst den Kurgästen auf dem Uetliberg morgens früh frische Brötchen brachte, zu Fuss den steilen Hang herauf. Unzählige Male war er an freien Nachmittagen hier hochgestiegen. Im Sommer eine Stange Bier auf der Terrasse, dazu eine Bratwurst. Im Winter Kaffee Kirsch und Nussgipfel. Der Hotelier, dem das Restaurant und der Aussichtsturm gehörten, war nicht sein Freund. Aber schliesslich war es die Politik der Stadt, die es nicht geschafft hatte, ihren Berg, ihr Wahrzeichen unter Schutz zu stellen. Trotz allem genoss er es, an der Sonne zu sitzen, in die fernen Berge zu schauen und die Gedanken wandern zu lassen. Hinüber in den Süden und in die alte Traumwelt, den Versuch eines autonomen Lebens in der Kooperative. «Nieder mit den Alpen. Freie Sicht aufs Mittelmeer!» Das war ein Slogan der Zürcher Jugendbewegung der Achtzigerjahre gewesen. Eine Generation nach ihm, mit andern Zielen, aber einer ähnlichen Vision im Kopf: eine selbstbestimmte, freie, kreative Gesellschaft.
    Der Pfad über Wurzeln und Sandsteintritte war glitschig. Bei trockenem Wetter kein Problem, aber nun aufgeweicht, eine Rutschbahn im Dreck. In den Steilhängen des Uetlibergs waren schon Menschen zu Tode gestürzt. Robert musste das wissen, aber er schwieg, umklammerte krampfhaft Pippos Hand. Unter einer Felsstufe kauerten sie sich in eine Nische, horchten. Vom Kulm her hörte man Stimmen, der Strahl eines Scheinwerfers streifte über die Wipfel der Tannen. Offensichtlich traute sich niemand, ihnen auf dem heiklen Weg zu folgen, wohl auch aus Furcht vor der Waffe.
    Da hocken wir nun in der Falle, dachte Pippo. Sie werden unten alle Wege sperren, keine Chance, in die Stadt zu kommen. Und wenn auch. Schnappen werden sie uns früher oder später. Aber eigentlich ist es egal. Wir haben gekämpft, unser letztes Gefecht. Völker, hört die Signale! Falls Tscharner krepiert, kommt Robert mit Totschlag oder fahrlässiger Tötung davon, ich mit Beihilfe, mit Gefährdung von Leib und Leben, Drohung, illegalem Waffenbesitz. Vorbestraft sind wir beide. Aber wir sind alte Männer, senil und krank, man wird uns nicht einsperren. Nicht hafterstehungsfähig, wie das im Juristendeutsch heisst. Obwohl man heute im Knast bereits geriatrische Abteilungen führt. Sicher bestens betreut von Pflegerinnen in adretten Uniformen.
    «Könnte es sein, dass er recht hatte?», fragte Robert unvermittelt mit lauter Stimme, als sei er eben aufgewacht.
    «He, sei still! Sie können uns hören», zischte Pippo.
    «Ich höre nichts mehr. Seit deinem Schuss pfeift es in meinen Ohren.»
    «Tut mir leid.»
    «Schon gut.»
    Nach einer Weile fragte Pippo: «Wer soll recht haben?»
    «Toni.»
    «Toni? Von wegen?»
    «Dass uns Sara verraten

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