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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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Erbe gemacht. Ein Puff, na und? In der Fachsprache nannte man das Zwischennutzung. Der Sexsalon war legal, ein ehrbares Gewerbe, wie man früher sagte. Die alten Genossen mieden ihn, aber das war ihm egal. Nur Martin Kunz hatte ihn immer gegrüsst, wenn sie sich begegneten, auch als er schon im Gemeinderat sass. Gelegentlich hatten sie zusammen ein Bier getrunken.
    Hermann stieg aus. Es hatte keine Kontrolle gegeben, und er bereute fast, zum ersten Mal seit Jahren ein Ticket gelöst zu haben. Eigentlich wollte er nach Hause. Ging noch kurz auf einen Espresso in den «Aargauerhof». Der Fernseher lief, TeleLimmat zeigte Bilder vom Krawall an der Uetlibergbahn. «Morgarten am Uetliberg», schrie ein Reporter in den Tumult. Dramatische Bilder, wie die Polizei gegen die Autonomen vorging, die die Birmensdorferstrasse blockierten. Holzhaufen und Abfallsäcke brannten, Tränengas dampfte. Dann Schnitt auf den Uetliberg. Das Bild eines Rettungshelikopters. Anton Tscharner sei angegriffen und niedergeschlagen worden, er liege verletzt im Triemlispital. Zwei Täter flüchtig nach einer Schiesserei. Die Polizei fahnde mit Helikoptern und Hunden. Es beunruhigte Hermann, dass Robert nicht auf seine Anrufe antwortete. Dass er und Pippo gewalttätig geworden waren, konnte er sich nicht vorstellen. Dann war ihm die Idee gekommen, ins Triemli zu fahren. Vielleicht würde er dort seine Freunde treffen.
    Auf der Toilette der Endstation wickelte er sich das Transparent vom Leib, rollte es zusammen. Mit der Rolle unterm Arm schritt aufs Hochhaus des Spitals zu wie an jenem Abend nach dem Anruf: Herr Amberg, wenn Sie Ihren Vater nochmals sehen möchten … Die Vergangenheit ist ein Gefängnis, dachte er. Es gibt kein Entrinnen. Die Erinnerungen, die alten Geschichten sind unüberwindbare Mauern. Was sind wir doch für Dummköpfe. Wir glaubten, wir könnten die Zeit zurückdrehen, und machen uns doch nur lächerlich. Eigentlich sollte ich umkehren, das Transparent und die Flyers in einen Container werfen und nach Hause gehen.
    An der Auffahrt zum Haupteingang des Spitals parkten ein Wagen des Schweizer Fernsehens und einer von TeleLimmat. Weiter oben hinter einer Sperre hatten sich Polizisten in Kampfmontur aufgestellt. Zwischen den Autos auf dem Parkplatz sah er junge Leute im Dunkeln in Gruppen herumstehen, Kapuzen oder Wollmützen über den Kopf gezogen. Einige mit der Bierdose in der Hand. Sie rauchten, tranken und unterhielten sich halblaut. Robert und Pippo waren nicht unter ihnen. Ein Kamerateam kam vom Spitaleingang her, die Polizisten traten zur Seite. Hermann erkannte den Journalisten. Viktor, ein altlinker Zyniker und Schwätzer. Die Assistentin mit der Kamera folgte ihm, Zigarette im Mund.
    Hermann sprach ihn an. «Was gibts?»
    «Sieh mal an, der berühmte Regisseur Amberg. Immer im Auge des Zyklons.»
    «Mein Freund liegt im Notfall. Wollte ihn besuchen, aber die Bullen da …» Er rümpfte die Nase.
    «Heisst dein Freund zufällig Toni?»
    «Erraten! Wie gehts dem Kandidaten?»
    «Komm, ich zeig ihn dir.» Viktor öffnete die Hecktür des Wagens, stieg ein.
    Die Assistentin warf die halb gerauchte Zigarette auf den Boden. «Fahren wir?»
    «Moment noch.»
    Viktor hiess sie, die Kamera an einen Laptop anzuschliessen. Das Video zeigte Tscharner in einem Spitalbett, umgeben von Monitoren, Kabeln, einem Schlauch zum Tropf. Ärzte mit ernsten Gesichtern standen um ihn herum, diskutierten, Pflegerinnen blickten müde in die Kamera. Tscharners Gesicht war verquollen, der Kopf verbunden, ein Auge bedeckt. Seine Unterlippe glich einer Blutwurst. «Aufräumen», nuschelte er. «Aufräumen mit diesen Chaoten. Die Stadt ausmisten. Das werden wir.»
    «Sie kandidieren also trotzdem?»
    «Aber gewiss. Jetzt erst recht.»
    «Haben Sie die Leute erkannt, die Sie angegriffen haben?»
    Tscharner zögerte, schien nachzudenken. Sein einäugiger Blick irrte von der Kamera weg, als sehe er jemanden an, der ihm ein Stichwort gab. Vielleicht stand sein Anwalt neben dem Bett.
    «Kannten Sie die Angreifer?», bohrte Viktor weiter.
    «Nein.»
    Sein rechter Arm hob sich, fiel mit geballter Faust auf die Decke zurück. Der Kopf neigte sich zur Seite, das unversehrte Auge schloss sich. «Nein, keine Ahnung, wer das war.»
    «Er lügt!» Hermann griff in die Innentasche seiner Jacke, zog ein feuchtes Bündel Papier hervor, hielt es ins Licht. «Er kennt sie. Alte Genossen.»
    Viktor setzte eine Halbbrille auf die Nase, hielt sich den Flyer vors Gesicht.

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