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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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hat.»
    Pippo dachte nach. Das war Tscharners Masche. Zweifel säen, die Leute verunsichern. Dann eine Behauptung als Wahrheit in den Raum stellen, nach der man griff wie nach einem Strohhalm. Endlich spricht einer Klartext. So machte er Politik, so hatte er sie damals manipuliert, hineingezogen und hineingelegt.
    «Sara hat mit allen geschlafen», murmelte Pippo, «aber verraten hat sie uns nicht.»
    «Bist du sicher?» Robert schrie beinahe.
    «Halt endlich dein Maul. Sonst verrätst du uns.»
    «Hat sie auch mit dir …»
    Pippo zögerte. «Nein. Sie war ein feines Töchterlein, ich ein Bauerntrampel.»
    Schweigend kauerten sie unter dem Felsvorsprung, Wasser tropfte auf ihre Köpfe, ihre Schultern. Sie begannen zu frieren.
    «Komm!» Pippo griff nach Roberts Hand. Schritt um Schritt tastete er sich mit den Füssen voran den Grat hinab. Bei den steilsten Stellen drehte er sich mit dem Gesicht zum Hang und führte mit den Händen Roberts Schuhe, setzte sie auf Tritte, auf vorspringende Wurzeln oder Sandsteinstufen. Gelegentlich schnippte er sein Feuerzeug an, suchte im flackernden Licht der Flamme nach dem Weiterweg.
    Endlos kam ihm der Abstieg vor. Dabei fiel ihm ein Gedenkstein ein, der im Staffel beim Laternenweg stand. «Hier stürzte hinab und starb …», stand darauf. Dort war vor mehr als hundert Jahren ein Zürcher Alpinist zu Tode gestürzt. Wenn das Schwergewicht über mir ausrutscht und auf mich herunterfällt, kann man noch so ein Denkmal stellen. Hier stürzten hinab und starben die zwei letzten Revolutionäre der Stadt Zürich.
    Aber Robert rutschte nicht, sie erreichten einen Weg, der den Hang entlangführte. Robert lehnte sich an einen Baum, rang nach Luft. Zwischen den Baumstämmen schimmerten die Lichter der Stadt. Die Sirenen eines Polizeifahrzeugs klangen von unten herauf. Ein Helikopter zog über sie hinweg zum Kulm. Pippo glaubte, vom Triemli her Hundegebell zu vernehmen.
    «Hörst du?»
    Robert schüttelte den Kopf. Er wischte sich die Augen. «Beschissenes Kopfweh», presste er hervor.
    «Gehts noch? Wir müssen weiter.»
    Robert folgte ihm zögernd, blieb immer wieder stehen. Es war keine gute Idee gewesen, die Pistole mitzunehmen. Für alle Fälle. Aber der Fall war ihnen entglitten. Genau wie damals. Hermann hatte versagt mit seiner dummen Marotte, schwarz zu fahren. Die Idee, Tscharner im Pissoir zu stellen, war Pippo spontan gekommen. Ein fataler Fehler. Robert hatte plötzlich zugeschlagen. Wegen Sara. Aber das war doch kein Grund, gleich die Waffe zu ziehen.
    Das Hundegebell kam näher. Pippos Herz krampfte sich zusammen. Die panische Angst vor Hunden schaltete alle Vernunft aus. Bei der Moraves hatte ihn ein Schäferhund gepackt. Er begann zu zittern, ging schneller, stolperte über den Balken einer Wasserrinne im Weg, fiel auf seine Hände. Mühsam rappelte er sich hoch. «Es ist besser, wenn wir uns hier trennen, Robert. Dich kennt niemand, mich werden sie früher oder später schnappen.»
    Robert hob die Schultern und schwieg. Pippo leuchtete mit der Flamme seines Feuerzeugs auf den Weg, der dem Hang folgte. «Geh bis zur nächsten Abzweigung, dort führt ein Weg zum Kolbenhof hinab und ins Albisgüetli.»
    Sie umarmten sich, hielten sich einen Augenblick fest. «Machs gut», sagte Pippo. «Machs gut, Freund.»
    Robert verschwand mit unsicheren Schritten in der Dunkelheit.

    «Triemli, Endhaltestelle.»
    Die Frauenstimme aus dem Lautsprecher weckte ihn. Hermann war eingenickt, er war der einzige Gast im Tram. Früher hiess es «Endstation», aber weil das grosse Stadtspital für viele eine Endstation des Lebens war, hatte man die Ansage angepasst. Endstation war das Triemlispital für seinen Vater gewesen. Hermann war damals mit dem Nachtzug aus Berlin gekommen, gleich mit dem Tram ins Triemli gefahren. Eine Pflegerin hatte ihn ins Sterbezimmer begleitet. Da lag sein Vater, nach Atem ringend, als würde er gleich ersticken. Hermann ergriff die kalte Hand mit den braunen Flecken. Der Vater zeigte keine Regung. Ein Gesicht wie Pergament. Zur Maske erstarrt nach einem Leben mit nichts als Arbeit, Sparen, hilfsbereit sein und freundlich mit den Kunden, gelegentlich ein Schoppen im «Aargauerhof». Am Abend darauf war er gestorben. Und Hermann Besitzer eines Hauses in einem verrufenen Stadtkreis, Strassenstrich und Drogenhandel vor der Haustür. Damals sagte ihm ein Bekannter: Du musst nur warten, dann wirst du ein reicher Mann, Hermi. Er hatte Geduld, hatte das Mögliche aus seinem

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