Zopfi, Emil
«Verdammt nochmal …»
«Toni lügt. Hat schon immer gelogen.»
«Das ist ein dicker Hund.» Viktor rief zur Assistentin: «Hey Chick, wir müssen nochmals hinauf.»
«Leck mich am Arsch, jetzt ist Feierabend.» Sie zeigte ihm ihre Zunge, ein Piercing steckte darin.
«Ich leck dich gern, aber lieber woanders.»
«Scheisskerl. Ich zeig dich an. Verbale sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz. Der Herr da ist Zeuge, nicht wahr?»
«Komm schon, Chick. War ja nur ein Scherz.» Er kniff sie in die Seite.
Sie zog eine Packung Zigaretten aus dem Handschuhfach, klemmte sich eine zwischen die Lippen. «Kleine Pause noch.»
Viktor steckte einen der Flyer ein, drückte Hermann eine Visitenkarte in die Hand. «Wenn noch was ist. Telefon, Mail oder SMS .»
Er stieg aus, die Assistentin trottete ihm hinterher, die Kamera auf der Schulter. Ihre Zigarette rauchte am Boden weiter. Bei der Polizeisperre sprach Viktor auf die Männer ein. Sie schoben eine Abschrankung zur Seite, liessen die beiden durch.
Die Jungen mit den Kapuzen und Kappen hatten sich in der Nähe des Wagens von TeleLimmat versammelt. Einige hatten Schals über Mund und Nase gezogen. Hermann trat zu ihnen, drückte einem das Bündel Flyer in die Hand. «Verteilen!»
Der Bursche schnitt eine Grimasse. «He Mann, was soll das?»
«Verteilen, hab ich gesagt. Unter alle Scheibenwischer auf dem Parkplatz.»
Eine junge Frau nahm ein Blatt, begann zu lesen. «He, da steht, Tscharner sei mal ein Spitzel gewesen …» Sie las laut vor: «… Organisator eines Bombenanschlags … ein Provokateur … im Auftrag der Bundespolizei …»
«Das Megaschwein!», rief einer.
«Ist das wahr?», fragte die Junge, schwenkte den Flyer und sah Hermann an.
«Ich war damals dabei, verurteilt mit zwei Genossen. Eine Freundin hat sich im Knast umgebracht. Tscharner haben sie kein Haar gekrümmt. Steht alles auf dem Flyer.»
Er hielt der Frau die Rolle mit dem Transparent hin. «Wenn der Fernsehmann wieder herauskommt, spannt ihr das auf. Er soll es filmen.»
Zusammen entrollten sie den Stoffstreifen. Sie las, wiederholte ein paarmal immer lauter. «Stoppt Tscharner! Kein Spitzel an die Spitze der Stadt!»
«Cool», rief ein Typ mit Nasenpiercing. «Hier, ein Bier, Mann.»
Hermann bekam eine angebrochene Büchse in die Hand und tat, als proste den Jungen zu. Schon hüpften zwei vor der Front der Polizei auf und ab, schwenkten das Transparent. Die Ordnungshüter standen stumm und stumpf. Dachten wohl an den Abend, den sie gern vor dem Fernseher zugebracht hätten, an das warme Bett.
Hermann gab noch seinen Limerick zum Besten. Während er sich entfernte, hörte er die Jungen johlen und pfeifen und im Chor gegen das Spitalhochhaus rufen. «Da gabs doch mal ein Spitzelschwein, das trank so gerne Schnitzelwein. Es trank einen Liter, da kam ein Gewitter. Da ging es ein, das Spitzelschwein.»
Bei der Endstation warf er die Bierdose in den Abfallkübel. Er schaute auf die Anzeigetafel. Kein Tram mehr. Er musste zu Fuss nach Hause.
Robert hatte den Weg verfehlt. Er fand die Abzweigung nicht, die Pippo erwähnt hatte. Der Weg führte in eine Schlucht, durch die ein Bach herabrauschte. In der Dunkelheit wagte er es nicht, ihn zu überqueren. Der Boden rundum war aufgeweicht. Steine ragten aus dem Wasser, aber sie schienen glitschig zu sein. Er würde ausrutschen, über die nächste Felsstufe ins Bodenlose stürzen. Er kehrte um, schaltete sein Smartphone ein. In Iowa City war jetzt Nachmittag. Er wählte Marilyns Nummer, liess lange klingeln, doch sie hob nicht ab.
Im schwachen Licht des Smartphones ging er zurück, suchte den Weg ab nach der Abzweigung. Keine Spur war zu sehen. Nasses Laub glänzte, Farn, Brennnesseln und Schachtelhalm bedeckten den lehmigen Grund. Er glaubte, die Stimme seines Vaters zu hören, streng und monoton. Der Uetliberg besteht aus Molasse. Schichten von Nagelfluh, Sandstein und Lehm wechseln sich ab. An seinem Fuss befinden sich Tongruben, seit Jahrhunderten werden Ziegel gebrannt. Zürcher Ziegeleien. Sätze, mit denen sein Vater während vierzig Jahren seine Schüler gelangweilt hatte. Auch seinen Sohn. Selbst ihre Wanderungen über den Uetliberg waren Unterrichtsstunden. Pause im Teehüsli bei der Fallätsche mit Pfefferminztee oder Punsch. Der Vater dozierte über Eiszeiten, Nunataker, Sedimente und Alpenfaltung und Konglomerat. Am Horizont im Süden standen die blauen Berge im Föhn, deren Namen er der Reihe nach aufzählte. Glärnisch, Tödi,
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