Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
Vom Netzwerk:
Eine Hand streichelte seinen Rücken. Stimmen und Lachen drangen wie durch dicke Watte zu ihm, entfernten sich und verklangen allmählich. Als er den Kopf hob, war der Salon verlassen. Von der Decke spendete eine einsame Lampe Schummerlicht, es roch nach kaltem Zigarettenrauch und billigem Parfüm. Er blickte in Ruths schwarz umrandete Augen. Ihr Mund mit dem dicken Lippengloss formte ein Wort: «Komm.»

    Zwischen Baumstämmen nahm Robert einen Lichtschimmer wahr. Er glaubte zuerst, es sei das Licht der Stadt in der Tiefe. Dann sah er, dass es aus dem Fenster einer Hütte drang, die unterhalb des Wegs auf einem Vorsprung stand. Vorsichtig stieg er den Hang hinab. Der Geruch von Rauch wurde stärker, je näher er kam. Die Hütte war von Brombeerstauden umrankt, die Sitzbank unter dem Fenster vollständig eingewachsen. Er versuchte durchs Fenster hineinzuschauen, die Scheiben waren trüb von Dreck und Spinnweben. Er konnte kaum etwas erkennen in dem Raum, ausser einer Gestalt, die an einem Tisch sass. Ein Mann oder eine Frau, in ein Buch vertieft. Einem Menschen, der in tiefster Nacht in einer Waldhütte in einem Buch liest, kann man vertrauen, dachte er und klopfte sacht an die Scheibe.
    Das Fenster ging auf, er erkannte das schmale Gesicht einer jungen Frau, um ihren Kopf wand sich ein Wusch verfilzter Haarzotteln. Sie schien weder Angst zu haben noch sich zu wundern, dass einer in einem verdreckten und zerrissenen Mantel in tiefster Nacht anklopfte.
    «Ich habe mich verirrt», erklärte Robert, «bin in einen Bach gefallen.»
    Die Frau schloss das Fenster, ging um den Tisch und öffnete die Tür. Licht fiel auf den Vorplatz, auf dem Wasser aus einer rostigen Röhre in einen ausgehöhlten und mit Moos bewachsenen Baumstamm tröpfelte. Sie bedeutete ihm mit einer Handbewegung, dass er eintreten solle. Der Raum war von einem Tisch und zwei Holzbänken beinahe ausgefüllt. Auf Brettergestellen stapelten sich Lebensmittel, Teigwaren, Reis, eine Reihe Joghurt, Eistee und Orangensaft paketweise, ein Bündel schon fast schwarzer Bananen, ein Plastiksack mit Brötchen, Eier in Kartons. Eine Pritsche mit einer schmuddligen Steppdecke nahm die Wand auf der Bergseite ein. Auf dem Tisch lag das Buch, in dem die Frau gelesen hatte.
    Robert nannte seinen Namen. Die Frau hob das Buch vom Tisch, schlug es auf und deutete mit dem Finger auf einen mit Bleistift geschriebenen Namen auf der vordersten Seite.
    «Yasmin?»
    Sie nickte. Offenbar war sie stumm oder wollte nicht sprechen. Eine Einsiedlerin auf dem Rückzug von der Welt, eine Waldfrau, die von Lebensmitteln aus den Mülltonnen der Supermärkte lebte. Auf einem kleinen Holzherd neben der Pritsche kochte Wasser in einem Topf. Sie klaubte aus einem Glas getrocknete Kräuter, legte sie in einen Krug und goss heisses Wasser darüber. Die Hütte füllte sich mit dem Duft nach Pfefferminze. Sie stellte eine Tasse mit abgebrochenem Henkel auf den Tisch, sah Robert an.
    «Oh, vielen Dank.» Er setzte sich.
    Das zerlesene Buch war Nietzsches «Also sprach Zarathustra». Robert kannte das Werk. Stellte sich vor, die Frau lebe wie Zarathustra zehn Jahre in Einsamkeit auf dem Berg, um dann ins Tal zu steigen und die Menschen zu lehren. Die ewige Wiederkunft des Gleichen, den unendlichen Kreislauf aller Erscheinungen.
    Es war warm in der Hütte. Robert fühlte sich wohl und aufgehoben, die Kopfschmerzen hatten nachgelassen. In seinen Ohren klang noch der Widerhall des Pistolenschusses. Es kam ihm vor, als sei es schon Jahre her, seit Pippo geschossen hatte. Er hob die Tasse mit beiden Händen hoch, blies hinein, um den Tee abzukühlen. Yasmin holte eine Rolle mit Plätzchen vom Gestell und legte sie auf den Tisch. Er riss die Rolle auf, ass ein paar Plätzchen. Sie waren knusprig und süss. Er spürte, wie hungrig er war, mochte aber nicht nach dem alten Brot oder den schwarzen Bananen fragen.
    Yasmin setzte sich wieder, vertiefte sich in ihr Buch, während er bedächtig den Tee trank und über seine Lage nachdachte. Pippo hatte recht gehabt, sich von ihm zu trennen. Man hatte ihn erkannt, er würde über kurz oder lang verhaftet werden. Er selber musste sich zum Flughafen durchschlagen und versuchen, einen Flug in die USA zu erreichen. Ticket, Pass und Kreditkarten hatte er noch. Also alles, was er zum Überleben in dieser Welt brauchte.
    «Wohnen Sie hier?», fragte er die Lesende.
    Sie hielt das Buch ins Licht, blätterte und deutete auf eine Stelle, die sie unterstrichen hatte. «Gehe

Weitere Kostenlose Bücher