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Zopfi, Emil

Zopfi, Emil

Titel: Zopfi, Emil Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Spitzeltango
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nicht zu den Menschen und bleibe im Walde! Gehe lieber noch zu den Tieren! Warum willst du nicht sein wie ich – ein Bär unter Bären, ein Vogel unter Vögeln?»
    Dann schob sie ihm den Krug hin, damit er sich Tee nachschenke. Robert trank, steckte sich immer wieder ein Plätzchen in dem Mund, bis die Rolle aufgegessen war. Es war ihm peinlich, aber der Hunger hatte ihn übermannt. Sie legte das Buch weg, deutete aufs Gestell mit den Lebensmitteln und sah ihn an.
    Er schüttelte den Kopf. «Danke, Sie sind sehr gütig.»
    Während sie weiterlas, betrachtete er ihr Gesicht. Fein geschnittene Gesichtszüge, eine vorspringende Nase. Eingefallene Wangen gaben ihr einen etwas verhärmten Ausdruck. Die Latzhosen, die sie trug, waren vor Jahrzehnten Mode gewesen unter Alternativen und Ökofreaks. Ihr Schweigen verunsicherte ihn. Er vermutete, dass sie sprechen konnte, vielleicht stotterte und sich schämte deswegen. Oder sie schwieg aus spirituellen Motiven. Eine Einsiedlerin, eine weibliche Zarathust ra. Vogel unter den Vögeln des Waldes.
    Eigentlich sollte ich weiter, dachte er, doch lähmte ihn die schwere Müdigkeit. Er lehnte sich zurück, schloss seine Augen. Irgendwann erwachte er von einem Geräusch und merkte, dass er auf einer Bank lag. Er fror und seine Glieder schmerzten. Im Dämmerschlaf konnte er sich nicht erinnern, wo er sich befand, er spürte nur, dass leichte Hände eine Decke über ihn breiteten und ihm etwas unter den Kopf schoben. Ein Stoffbündel, das nach Lavendel roch.

    «Schwyter, aufmachen!» Fäuste hämmerten gegen die Tür, sie zitterte, doch das Schloss hielt. Noch hielt es. Pippo hatte sie kommen sehen. Zwei Polizisten und eine Polizistin mit einem Schäferhund, der an der Leine zerrte und die Schnauze in die Höhe warf.
    Panik packte ihn. Alle Hunde der Welt hatten es auf ihn abgesehen. Der Bläss auf der Schwarzenegg, der ihn ins Bein biss. Jener Köter auf dem Hof in der Toskana, der ihm die Hosen zerriss und den Hintern zerkratzte. Der Hund des Werkschutzes der Moraves, der ihn am Arm gepackt hatte. Hunde waren sein Verhängnis. Er hasste sie, er fürchtete sie, er mied die Allmend Brunau, wo alle Hunde der Stadt herumtobten und sich die Hundebesitzer ein Stelldichein gaben, die er ebenso hasste. Er war Rassist, wenn es um Hunde und ihre Halter ging. Heiss fühlte er den Griff der Pistole in seiner Hand. Das Trommeln an die Tür hatte aufgehört. Die Polizisten gingen ums Gartenhaus, trampelten durch seine Beete. Er vernahm einen unterdrückten Fluch. Einer war wohl in den Stachelbeeren hängen geblieben. Das Biest an der Leine winselte. Einen Hund töten, davon hatte er schon geträumt. Dann vernahm er die Stimme der Polizistin vor der Tür. «Herr Schwyter, bitte machen Sie auf. Wir wissen, dass Sie da sind.» Freundliche Einladung zur Kapitulation. Heutzutage waren die Freunde und Helfer psychologisch geschult.
    Der Schuss ging los, der Rückschlag riss Pippos Hand in die Höhe. Der Knall lähmte ihn für Augenblicke, löschte sein Bewusstsein aus, als hätte er einen Schlag auf den Kopf bekommen. Er roch den scharfen Mündungsrauch, den er aus dem Militärdienst kannte. Der Nachhall wetterte durch seinen Schädel, in seinem rechten Ohr setzte ein schrilles Pfeifen ein. Schreie, Rufe, Kommandos drangen von weit her durch den Katarakt des inneren Lärms. Er glaubte, den Hund winseln zu hören. Vielleicht war es nur eine Reaktion auf seine panische Angst. Wohin hatte er geschossen? Was getroffen? Den Köter vielleicht? Oder gar die Frau? Wollte er überhaupt schiessen? Er wusste es nicht. Der Schuss war losgegangen, weil er den Druckpunkt gefasst und dabei gezittert hatte. Die Angst, die Panik, der Hund. Alter Depp. Den Rest deines schäbigen Lebens verbringst du im Loch oder in der Psychi.
    Durch das Pfeifen im Ohr drang eine Melodie, Pauken und Trompeten und Tschinellen. Die Arbeiterblaskapelle von Calenzano spielt auf, rote Fahnen flattern und die Menge singt. Avanti popolo, alla riscossa. Bandiera rossa trionferà. Alice hört zu, mit einem Gelato in der Hand und ihrem verhaltenen Lächeln. Sie hatte ihr letztes Gefecht gekämpft, ganz allein, er war ihr nicht beigestanden. Nun lag ihre Asche auf dem Friedhof Uetliberg in einem Urnengrab, fünf Minuten und eine Ewigkeit von ihm entfernt.
    Polizeisirenen heulten. Eine Armee hatte sich um seinen Garten, um seine kleine Welt verschanzt. Freie Republik Schwyter. Sein Réduit. Pippo gegen den Rest. Die Scharfschützen mit ihren

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