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Zores

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Titel: Zores Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Pittler
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Treppen abwärts und erreichten so das große Portal, das sie auf die Ringstraße entließ. Dort wünschten sie sich noch einen guten Abend und wandten sich sodann jeder der Richtung zu, in der das jeweilige Zuhause lag. Bronstein überquerte die Ringstraße, hielt auf die Schottengasse zu und bog von dort in die Herrengasse ein. Vor dem Café „Herrenhof“ blieb er stehen.
    Für das Abendessen war es, befand er, noch zu früh, also sprach nichts dagegen, sich noch einen Kaffee zu genehmigen. Er trat ein und setzte sich an seinen gewohnten Tisch. Der Kellner trat an ihn heran. „Das Übliche, Herr Oberst?“
    „Nein, Herr Franz, bringen S’ mir heute einen Pharisäer. Ich weiß auch nicht warum, aber mir ist grad danach.“
    „Ein Pharisäer, bitte schön, kommt sofort.“ Und der Kellner ging ab. Bronstein wartete einen Augenblick, dann erhob er sich noch einmal und schlenderte zum Tisch mit den Zeitungen. Die Auswahl war, wie er befand, mehr als mager. Neben den drei zentralen Tageszeitungen, der „Reichspost“, der „Neuen Freien Presse“ und der „Wiener Zeitung“, gab es nur die „Illustrierte Wochenpost“, das „Tagblatt“ und das „Sport-Tagblatt“. Mit einer sentimentalen Wehmut erinnerte er sich daran, dass genau dieser Tisch einst jeden Tag unter einem gewaltigen Wust an Zeitungen beinahe zusammenzubrechen schien. Der „Pester Lloyd“, das „Prager Tagblatt“, das „Karpaten-Echo“,die „Rundschau“, die „Brünner Zeitung“, …, wo waren die alle hingekommen? Und erst die Blätter aus dem Ausland! Im „Herrenhof“ hatte man natürlich auch die führenden Presseerzeugnisse aus England, Deutschland, Frankreich und der Schweiz jeden Tag aufs Neue ausliegen gehabt. Und jetzt gab es nicht einmal mehr die altehrwürdige „Times“. Nicht, dass Bronstein des Englischen mächtig gewesen wäre, aber allein schon die Präsenz solcher Presseerzeugnisse verlieh dem Ort und damit auch seinem Besucher ein Flair von Weltläufigkeit. Solange die Welt im eigenen Heim zu Gast war, zählte man etwas auf dem Erdenrund. Nun aber war man nur noch miefige Provinz!
    Seufzend griff Bronstein zum „Sport-Tagblatt“, denn von Politik hatte er an diesem Abend mehr als genug. Er kam gerade rechtzeitig zu seinem Tisch zurück, als der Kellner den Kaffee abstellte. Bronstein signalisierte durch ein kurzes Nicken einen Dank, setzte sich dann und entnahm seinem Etui eine „Donau“, die er anzündete, ehe er den ersten Schluck aus seiner Tasse trank.
    Er warf einen Blick auf die Titelseite der Zeitung und sah gleich angewidert wieder weg. Sogar hier war ein Aufruf für die Volksabstimmung am kommenden Sonntag zu lesen. Eilig blätterte Bronstein um. Da war über Einzelheiten die Fußball-Weltmeisterschaft betreffend zu lesen. Wie sich zeigte, gab es da noch jede Menge Ungereimtheiten. Die Mittelamerika-Gruppe war mit ihren Qualifikationsspielen in Verzug, und Titelverteidiger Italien ließ in Richtung des Ausrichters Frankreich die Muskeln spielen, da die Italiener den Franzosen nicht zutrauten, ansprechende Plätze zur Verfügung stellen zu können. Österreich hatte sich im Oktober durch ein knappes 2:1 gegen Lettland für die WM qualifiziert und konnte damit die Scharte dervorangegangenen WM, als man nur knapp die Bronzemedaille verpasst hatte, auswetzen. Trotzdem dachte Bronstein gerne an das Turnier in Italien zurück. Im Auftaktspiel hatten Smistik, Bican, Sesta, Zischek und der „Papierene“ Matthias Sindelar die favorisierten Franzosen, die mit ihrem Fußballhelden Roger Rio aus Rouen, dem schnellsten Tankwart der Welt, angetreten waren, regelrecht schwindlig gespielt. Im Viertelfinale war man dann auf die Ungarn getroffen, bei denen just ein Spieler mit dem Namen Horvath den Magyaren die Heimreise aufgezwungen hatte. Die ganze Nation war so begeistert gewesen, dass Bronstein sogar ernsthaft überlegt hatte, um Urlaub einzukommen, damit auch er nach Mailand fahren konnte, um im San-Siro-Stadion das Halbfinale gegen die Gastgeber mitzuverfolgen. Aber natürlich war er dann an jenem 3. Juni auf die Radio-Übertragung angewiesen gewesen, weshalb er immer noch nicht zu sagen vermochte, ob der Schiedsrichter damals wirklich die Österreicher betrogen hatte, um dem Gastgeber Italien den Einzug ins Finale zu ermöglichen. Jedenfalls lief dann alles auf das „Spiel um Platz 3“ hinaus, in dem die Österreicher auf Deutschland trafen. Die Deutschen waren schnell 2:0 in Führung gegangen, doch Horvath

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