Zorn der Meere
Trompeters an ihrem Gesicht oder ihren Brüsten kleben blieben. Doch Wiebe blieb länger fort als erwartet.
Überhaupt hatte sich einiges verändert, seit die Söldner verschwunden waren, fand Sussie. Die Menschen wirkten seltsam beklommen, mit den Waffen der Söldner spielten die Jankers, der Steinmetz und Zeevanck teilten Befehle aus, und die Matrosen, die heimlich Wein getrunken hatten, waren ebenso spurlos verschwunden wie Ryckert.
Auch den anderen auf der Insel waren diese Vorgänge nicht entgangen, doch irgendetwas schien sie zu hindern, laut darüber zu sprechen. Selbst als der Rauch von der Langen Insel aufstieg, wurde nichts geäußert. Offenbar wagte niemand zu fragen, warum die Söldner dort bleiben mussten.
Sussie wanderte am Strand entlang. Sie hatte ihren Eimer mit Meerwasser füllen wollen, um die Bandagen der Kranken zu kühlen, doch unterwegs hatte sie die Zeit vergessen und war einfach weiterspaziert. Erst als sie bemerkte, dass die Sonne unterging und sich um sie herum keine Menschenseele mehr befand, wurde ihr eigenartig zumute - doch da war es bereits zu spät.
Vor ihr tauchte der Trompeter auf.
Er hieß Groenewald, so viel wusste Sussie inzwischen. Sie blieb stehen und starrte ihn an. Es hatte ihr aufgelauert.
Sussie holte tief Luft, um zu schreien, doch Groenewald wedelte beschwichtigend mit den Händen. »Ihr braucht keine Angst zu haben«, erklärte er. »Ich bin lediglich hier, um Euch zu warnen, und ich wollte nicht gesehen werden.«
Sussie blickte sich um. Sie waren allein. »Was ist denn?«, fragte sie unsicher.
-313-
»Ihr und Eure Schwester solltet verschwinden«, sagte Groenewald.
»O gewiss«, entgegnete Sussie. »Wir segeln gleich morgen, wenn Ihr uns erklärt, wie.«
Groenewald schüttelte ungehalten den Kopf. »Ich mache keinen Spaß. Ich will nur Euer Bestes. Morgen werden ein paar von uns auf die Robbeninsel verlegt. Ihr solltet sie begleiten.«
Sussie dachte an Jan Finten und an ihr Versprechen. »Das geht nicht«, erwiderte sie.
»Vielleicht überlegt Ihr es Euch noch einmal«, forderte Groenewald sie auf. Er machte eine Pause, ehe er hinzusetzte:
»Hier gehen Dinge vor sich, von denen Ihr keine Ahnung habt.«
»Was für Dinge?«
Hinter Groenewald tauchte plötzlich der Steinmetz auf, gefolgt von Mattys Beer und Allert Janz. Groenewald wandte sich um. Als er die Männer sah, erblasste er und entfernte sich eilig.
Sussie blickte ihm verblüfft nach.
Gleich darauf verschwanden auch die anderen.
Mit einem Mal wurde es Sussie kalt. Sie sah das letzte Stück Sonne im Meer versinken, drehte sich um und flüchtete in den Schutz der Hütten und Zelte zurück.
-314-
XVIII
Ich finde, um wahrhaft frei zu sein, sollte der Mensch sich von seinem Gewissen trennen. Geht es Ihnen nicht häufig so, dass Sie im Begriff sind, eine Missetat zu rechtfertigen, nur um zu erkennen, dass Ihr Gewissen sich diesem Prozess widersetzt?
Wie ein lästiger Priester hockt es in Ihnen und summiert die Sündenfälle auf. Was gäbe man nicht alles, um diese Instanz beseitigen zu können! Ausgerechnet ein Priester, der einem das Leben zur Hölle macht? Ganz recht - da stimmt etwas nicht.
Ähnlichen Überlegungen muss Jeronimus gefolgt sein, als er zwei Fliegen mit einer Klappe schlug. Er gab sein Gewissen auf und entledigte sich damit zwangsläufig seines Glaubens an die Hölle.
(Es spielt übrigens keine Rolle, welches von beiden Sie als Erstes abstoßen, denn wie alle Abhängigkeiten bedingen sie sich gegenseitig. Wenn das eine weg ist, verschwindet auch das andere.)
Der Steinmetz besitzt übrigens auch kein Gewissen, jedoch fehlte ihm von vornherein der Verstand, um derlei überhaupt zu entwickeln. Der Steinmetz ist deshalb uninteressant.
Ich bevorzuge einen Menschen wie Jeronimus, jemanden, der sich dank seiner Geisteskraft erhöht, um sich über Einschränkungen hinwegzusetzen. Sobald er das schafft - sobald er sich gottgleich wähnt -, sind seinem Tun keine Grenzen mehr gesetzt. Danach ist er frei.
Ja aber..., höre ich Sie beginnen, Jeronimus ist doch nun die reine Form des Bösen geworden!
Schade nur, dass es dergleichen nicht gibt, denn auch das Böse ist ja nur eine Vorstellung Ihres Gewissens.
Auf dem Friedhof
-315-
Eines Morgens tauchte der Steinmetz auf, um Lucretias Habseligkeiten aus dem Frauenzelt abzuholen. Sie wohne ab sofort in dem alten Zelt von Pieter Janz, erklärte er, das sei ein Befehl des Unterkaufmanns, und deshalb solle sie kein Theater machen.
Das
Weitere Kostenlose Bücher