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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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Ruhe zu verfolgen, anstatt sie als nicht gottgefällig zu verwerfen. Andernfalls, überlegte sie in solchen
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    Momenten, hätte Gott sie als Kuh oder als Schaf zur Welt bringen sollen, denn in dem Fall müsste sie gar nicht denken.
    Als sie ihren Vater am Morgen auf den Knien vorfand, wo er mit erhobenen Händen betete, kräuselte Judith spöttisch die Lippen. Dennoch wartete sie, bis er sich erhob und sich den Staub von den Hosenbeinen bürstete. Dann räusperte sie sich.
    »Was hast du auf dem Herzen?«, fragte Pfarrer Bastians.
    »Habt Ihr gut geschlafen, Vater?«, erkundigte Judith sich angelegentlich.
    Ihr Vater zögerte für einen Moment. »So hat es der Herr gewollt.«
    »Ihr habt nicht etwa einen Schrei vernommen?«
    »Nein.« Pfarrer Bastians schüttelte den Kopf, wobei er Judiths Blicken auswich. »Warum fragst du? Haben dich die Vögel gestört?«
    »Die Vögel pflegen nachts zu schlafen.«
    »Dann solltest du dir an ihnen ein Beispiel nehmen.«
    »Das hafte ich gern getan, doch ich wurde von einem Schrei aufgeweckt.«
    »Vielleicht hattest du einen schlechten Traum.«
    »Daniel hat den Schrei ebenfalls gehört.«
    »Dann habt ihr euch beide geirrt«, betonte ihr Vater. Er wandte sich ab, um sich zu entfernen, doch Judith hielt ihn fest.
    »Vater«, begann sie erneut, »Ihr müsst -«
    »Ich muss den Herrn um seine Gnade bitten, Judith, sonst nichts. Und nun geh mir aus dem Weg. Sprich deine Gebete und prüfe, ob deine Träume nicht des Teufels sind.«
    Als Judith später an den Hütten und Zelten vorbeischritt, versuchte sie sich unauffällig der Anwesenden zu vergewissern.
    Deschamps war da, de Vries, Aris Janz... alle waren sie da, niemand fehlte. Halt, dachte Judith. Einen habe ich noch nicht
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    entdeckt. Wo ist der schwarzbärtige Trompeter? Groenewald.
    Der Mann, der sonst immer um Sussie und Tryntgen herumschleicht.
    Judith begann sich zu erkundigen. Die einen zuckten die Achseln, andere legten einen Finger auf den Mund, und wieder andere bedachten sie mit drohenden Blicken, ehe sie ihr rieten, sich um ihre eigenen Belange zu scheren.
    Groenewald ist etwas zugestoßen, grübelte Judith, und nun hat ihn der Erdboden verschluckt. Genau wie Ryckert.
    Judith wanderte zu Groenewalds Zelt hinüber und rief seinen Namen.
    Keine Antwort. Sie wollte bereits den Rückweg einschlagen, als sie seltsame rotbraune Spuren auf dem Erdboden wahrnahm.
    Judith bückte sich und fuhr gleich darauf hoch. Blut - dickes, geronnenes Blut. Die Spuren zogen sich bis zu dem Gestrüpp hinüber, so als habe man jemanden geschleift oder als sei jemand blutend vorwärts gekrochen.
    Also doch. Weder sie noch Daniel hatten sich geirrt. Die Schreie hatten von einem Menschen gestammt.
    Ein Schatten fiel über sie. Judith schaute auf.
    Zeevanck.
    »Was habt Ihr hier zu suchen?«, knurrte er.
    »Ich wollte wissen, wo Groenewald steckt.«
    »Er ist auf die Robbeninsel übergesiedelt.«
    »Das stimmt nicht. Ich habe gesehen, wer auf dem Boot hinübergerudert wurde und wer nicht.«
    »Weiß Euer Vater eigentlich, dass Ihr Euch bei den Männerzelten herumdrückt?«
    Judith wurde rot. Wie eigenartig, dass dieser unangenehme Mensch ihr auf der Batavia nie aufgefallen war! Da war er nur irgendein Schreiber gewesen, eine dieser blassen Gestalten, von
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    denen eine wie die andere aussah. Seine neue Rolle als Jeronimus' Vertrauter musste ihm zu Kopf gestiegen sein.
    »Was habt ihr mit ihm gemacht?«, erkundigte sie sich.
    »Das geht Euch nichts an. Verschwindet!«
    Judith wäre am liebsten fortgerannt, doch den Gefallen wollte sie ihm nicht erweisen. Sie entfernte sich gemächlich.
    Irgendetwas Abscheuliches geht hier vor sich, dachte sie unterdessen, und dieser Zeevanck weiß, worum es sich handelt.
    Sie musste sich jemandem anvertrauen. Ihr Vater kam dazu nicht in Frage; er würde abwiegeln und wütend werden oder sie zum Beten anhalten. Die Söldner befanden sich auf der Langen Insel. Pieter Janz war auf die Verräterinsel umgezogen. Somit wäre nur noch der Unterkaufmann übrig. Judith blieb stehen.
    Zeevanck und der Unterkaufmann waren eng befreundet. Wenn Zeevanck wusste, was Groenewald zugestoßen war, musste der Unterkaufmann es gleichermaßen wissen. Judith merkte, wie sich ihr der Magen zusammenkrampfte. Angst und Panik stiegen in ihr auf. Lieber Gott, hilf uns! betete sie und schloss die Augen. Doch es blieb leer, dunkel und kalt. Kein Trost, kein Erbarmen.
    Danach ging Judith wie in Trance weiter. So ist also auch

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