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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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das geschehen, dachte sie. Gott ist verschwunden - wie Groenewald und Ryckert. Lediglich seinen Boten hat er bei uns zurückgelassen.
    Es war das zweite Mal, dass Lucretia das Zelt des Unterkaufmanns betrat. Dieses Mal war ihr, als täte sich ein Palast vor ihr auf.
    Die Segeltuchfetzen, die allen anderen als Eingangsklappen dienten, waren hier durch fein gewebte Wandteppiche ersetzt.
    Zu dem Tisch hatten sich kostbare Orientteppiche gesellt, silberne Kerzenleuchter, Karaffen, das feine Geschirr aus der Offiziersmesse, eine weiße Leinendecke mit Spitzenbesatz. Und
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    auf dem Lager befand sich die dunkelrote Brokatdecke aus Francois' großer Kajüte.
    Jeronimus war in ein Gespräch mit van Huyssen und Zeevanck vertieft. Als er Lucretia erblickte, winkte er die beiden fort. Lucretia bat er, in einem roten Samtsessel Platz zu nehmen, der ihr sehr bekannt vorkam.
    »Wein?«, erkundigte sich Jeronimus und hob fragend die Karaffe.
    Lucretia winkte ab.
    Jeronimus zog ein Gesicht und schenkte sich einen Becher Wein ein. Lucretia gewahrte einen neuen, funkelnden Rubin an seiner Hand.
    »Steht Euch der Sinn eher nach einem kleinen Leckerbissen?«
    Leckerbissen? Was meinte er damit? Bezog er sich etwa auf die mageren Sturmtaucher, die sie am Feuer rösteten?
    »Nein, danke, ich möchte nichts«, erklärte Lucretia. Sie fühlte sich noch immer ein wenig benommen von den Dingen, die Judith ihr berichtet hatte.
    »Was habt Ihr denn?«, hörte sie Jeronimus teilnahmsvoll fragen. »Ihr seid blass. Euch fehlt doch hoffentlich nichts?«
    »Was geht hier vor, Herr Unterkaufmann?«, begann Lucretia, seine Frage ignorierend.
    Jeronimus hob verwundert die Brauen.
    »Eine der Frauen hat Blut vor dem Zelt des Mannes namens Groenewald entdeckt. Sie fürchtet, man habe ihn ermordet.«
    Falls Lucretia geglaubt hatte, Jeronimus würde den Tatbestand leugnen, hatte sie sich geirrt. Seine Miene verdüsterte sich stattdessen und nahm einen gequälten Ausdruck an. »Ein höchst unliebsamer Zwischenfall«, bemerkte er. »Ich hatte gehofft, es vor Euch verbergen zu können. Wie Ihr wisst, gibt es Männer, die wie Tiere handeln.«
    »Was ist vorgefallen?«
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    »Groenewald war ein Dieb. Er hat sich an der Gesellschaft zu bereichern versucht. Unserer Sicherheit zuliebe war ich gezwungen, ihn zu bestrafen.« Jeronimus legte seine Hand auf Lucretias Arm. »Keine Sorge«, fuhr er besänftigend fort. »Es besteht keine Gefahr mehr.«
    Lucretia entzog ihm ihren Arm. »Habt Ihr ihn ermordet?«
    Jeronimus sah sie beleidigt an. Dann richtete er sich zu voller Größe auf und verkündete: »Wenn ich einen Tod befehle, handelt es sich grundsätzlich nicht um Mord. Vergesst bitte nicht, dass ich hier die Companie vertrete. Abgesehen davon kann ich Euch beruhigen: Groenewald lebt.«
    »Und was bedeutet das Blut vor seinem Zelt?«
    »Nun, er wurde zur Rechenschaft gezogen. Im Verlauf dieser Unterredung zog er sein Schwert.« Jeronimus nippte an seinem Wein und taxierte Lucretia über den Rand des Bechers hinweg.
    »Er wurde überwältigt und zur Verräterinsel gebracht. Dort untersteht er nun der Aufsicht von Pieter Janz.«
    »Warum hat niemand etwas davon erfahren?«
    »Seit wann unterrichte ich die Menschen über das, was ich tue?«, fragte Jeronimus kalt. »Seit wann interessiert Ihr Euch überhaupt für dergleichen?«
    »Ich spreche nicht von mir. War Pfarrer Bastians eingeweiht?«
    In Jeronimus' Blick flackerte Wut auf. »Ich bin der Kommandeur«, erklärte er erregt. »Ich - und nicht Pfarrer Bastians - entscheide, was passiert.« Er zwang sich zu einem Lächeln und trat auf Lucretia zu. »Pelsaert war da nicht anders, meine Liebe. Oder glaubt Ihr, er hat nach Pfarrer Bastians'
    Meinung gefragt?«
    Lucretia erhob sich und bewegte sich auf den Ausgang zu.
    Dort drehte sie sich noch einmal um. »Sagt mir die Wahrheit -
    hat Zeevanck den Mann ermordet?«
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    »David Zeevanck ist ein Angestellter der Gesellschaft«, beschied Jeronimus Lucretia. »Der Mann namens Groenewald befindet sich auf der Robbeninsel. Seid Ihr nun zufrieden?«
    Lucretia wurde unsicher. Vielleicht hatte Judith sich geirrt.
    Vielleicht war sie, Lucretia, verrückt genug, ihr derartige Mordgeschichten zu glauben.
    »Denkt nicht so viel nach«, bemerkte Jeronimus sanft. »Ihr könnt mir vertrauen, Lucretia. An Euch wird sich niemand vergreifen.«
    Lucretia verspürte ein seltsames Ziehen in ihrer Brust und eine Beklemmung, die sich ihr auf den Magen legte. Ihre Albträume

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