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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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ließ Pfarrer Bastians sich vernehmen.
    »Judith?«, fragte Jeronimus. »Wie sieht es bei Euch aus?
    Wünscht Ihr Conrad van Huyssen zum Mann?«
    Judith nickte geistesabwesend.
    »Ich persönlich finde«, fuhr Jeronimus fort, »Frauen sollten als Allgemeingut dienen. Schließlich ist die Lust, die der Mann empfindet, nur natürlich und von Gott geschenkt.«
    »Sie ist ein Geschenk des Teufels«, brummte Pfarrer Bastians.
    Wie rasch Jeronimus' Stimmungen wechseln! dachte Judith.
    Er sprang auf. Speicheltropfen sprühten aus seinem Mund, als er zu toben begann. »Es gibt keinen Teufel!«, brüllte er. »Das ist lediglich eine Erfindung von euch Kirchenmännern, um starke Naturen zu knechten. Alles stammt von Gott! Auch das Verlangen! Und insofern ist es nicht schlecht!«
    Das waren die ketzerischen Gedanken der Anabaptisten, erkannte Judith, die Lehre von Torrentius. Sie hatte ihren Vater häufig genug dagegen wettern hören.
    Pfarrer Bastians sagte nichts.
    Jeronimus ließ sich auf seinen Stuhl zurückfallen. Von einem Moment zum anderen hatte er sich wieder im Griff. »Warum
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    plötzlich diese Leichenbittermiene?«, erkundigte er sich bei Pfarrer Bastians. »Hat es Euch etwa nicht geschmeckt?«
    »O doch«, versicherte Pfarrer Bastians ihm eilig. »Ihr wart äußerst großzügig -«
    Jeronimus winkte ab. »Ich hatte mir Hoffnung gemacht, wir könnten Freunde werden. Sollen wir unser Kriegsbeil nicht begraben? Was haltet Ihr davon?«
    Judith beobachtete ihren Vater gespannt. Würde er für Nahrung und Jeronimus' Gnade auch seinen Glauben opfern?
    »Das ist auch mein sehnlichster Wunsch«, beeilte sich Pfarrer Bastians Jeronimus zuzustimmen.
    »Vielleicht sollten wir auch Eure Wiederaufnahme in den Rat der Insel prüfen«, bot Jeronimus an.
    »Das wäre mir eine Ehre«, murmelte Pfarrer Bastians erfreut.
    Jeronimus trug Pelgrom auf, die Gläser neu zu füllen. »Ich werde darüber nachdenken«, erklärte er verschmitzt.
    »Hängt das nicht auch ein wenig von Judith ab?«, fragte van Huyssen.
    »Ich bin sicher, dass sie sich als gehorsam erweist«, kam es umgehend von Pfarrer Bastians.
    »Vorzüglich!« Jeronimus zwinkerte van Huyssen zu. »Das ist doch ganz nach deinem Geschmack.«
    »Es ist gut verlaufen«, erklärte Pfarrer Bastians Judith auf dem Rückweg zu ihrem Zelt. Er leuchtete ihnen mit einer brennenden Fackel.
    Judith erwiderte nichts. Inwendig fühlte sie sich wie gestorben. Die Trennung von böse und gut hatte sie ihr Leben lang geleitet, doch an diesem Abend hatte sie erkannt, dass dergleichen nicht mehr galt, dass diese Begriffe austauschbar waren oder dass sie sich einfach in nichts auflösten, wenn man den Glauben an sie verlor.
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    »Jeronimus bedarf der Unterweisung, das ist alles«, hörte Judith ihren Vater sagen. »Sobald ich wieder Mitglied im Inselrat bin, wirke ich entsprechend auf ihn ein.«
    »Jeronimus ist ein Ketzer.«
    »Davon verstehst du nichts.« Ihr Vater senkte seine Stimme.
    »Man darf solche Menschen nicht vor den Kopf stoßen, Judith.
    Man muss behutsam mit ihnen verfahren. Du bist noch zu jung, um dergleichen zu begreifen.«
    Sie wanderten schweigend weiter. Judith zuckte zusammen, als irgendwo in der Dunkelheit ein Schrei erklang.
    Wahrscheinlich der übliche Vogel, dachte sie.
    »Wünscht Ihr tatsächlich, dass ich Herrn van Huyssen heirate?«, fragte sie nach einer Weile.
    »Es ist besser, ein Mann besitzt dich nach dem Gesetz, als dass dich zahllose Männer gesetzlos besitzen.«
    Oder als dass man sich ihnen freiwillig anbietet, um sich etwas zu essen zu verschaffen, vervollständigte Judith seinen Satz im Stillen.
    So wie es bereits etliche Frauen tun mussten.
    »Du hättest es viel ärger treffen können, Judith«, fuhr Pfarrer Bastians fort. »Das Vorgehen ist vielleicht ein wenig ungewöhnlich, doch es geschieht nach dem Gesetz. Du wirst mir später noch dankbar sein. Warte, bis du erst Frau van Huyssen bist.«
    Eine kräftige Windbö peitschte Judith in den Rücken, sodass sie einen Schritt vorwärts taumelte.
    »Sie glauben, sie hätten mich übertölpelt«, erklärte Pfarrer Bastians hinter ihr. »Der Teufel ist ein gerissener Kerl, Judith.
    Doch dein Vater auch. Wenn es sein muss, bin ich genauso gut wie er.«
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    Judith klappte die Lasche am Eingang ihres Zeltes beiseite.
    Das Zelt war leer. Ihr Vater trat hinter sie und hielt seine Fackel in die Höhe.
    Eine Lampe lag zerschmettert am Boden. Der Tisch und die armseligen Bettgestelle, die sie aus

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