Zorn der Meere
sich geduckt, um unauffällig zu bleiben, hatte geschwiegen, nicht widersprochen, hatte alles hingenommen, um seinen Hals aus der Schlinge ziehen zu können.
Dennoch trug er nicht die Schuld, hielt sich Francois vor Augen. Er hatte keine andere Wahl gehabt. Er hatte so handeln müssen. Im Grunde musste sich Jacobs seine Strafe selbst zuschreiben. Immerhin hatte der Kapitän die Batavia versenkt, nicht der Kommandeur. Seltsam war lediglich, dass ihm dieser Gedanke nicht half, ihm keine Erleichterung verschaffte.
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Francois warf einen Blick auf die Festung zurück. Er sah die Galgen. An einem von ihnen hing Jan Everts.
Francois verzog spöttisch den Mund. Das is t wohl das Einzige, was mir auf dieser Reise gelungen ist, dachte er. Ich habe es geschafft, dass ein Vergewaltiger hängt.
Auf dem Friedhof
Wie ein Fürst stolzierte Jeronimus über die Insel. In seinem Gefolge befanden sich van Huyssen, Zeevanck, Allert Janz, Mattys Beer - und Pfarrer Bastians.
Judith stand mit ihrer Mutter vor ihrem Zelt und beobachtete die Parade. Ihre kleinen Geschwister hatten sich an sie geklammert.
»Was tut er da?«, fragte Judith ihre Mutter.
»Das Richtige«, erwiderte Frau Bastians.
Als die Gruppe weiterzog, blieb Conrad van Huyssen stehen und musterte Judith ausgiebig. Es sah aus, als wolle er ihren Wert bemessen. Danach schloss er wieder zu den anderen auf.
Wenig später kehrte Pfarrer Bastians mit wehenden Rockschößen zurück.
»Nun, was hat Jeronimus heute zum Besten gegeben?«, fragte Judith spitz.
Ihr Vater wich ihrem Blick aus. »Jetzt renkt sich alles ein«, verkündete er.
»Was hat er gesagt?«, beharrte Judith. »Gib seine Worte wieder.«
»Nichts. Er lädt uns lediglich für heute Abend zu einer gemeinsamen Mahlzeit mit den Jankers ein. Im Zelt von van Huyssen.«
»Uns alle? Die ganze Familie?«
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»Nein«, gab Pfarrer Bastians widerwillig zu. »Nur dich und mich.«
Seine Frau packte ihn am Ärmel. »Weißt du, was er will?«
»Frau!«, schnaubte Pfarrer Bastians. »Lasst mich zufrieden.
Vertraut auf den Herrn.«
Judith spürte, dass sich eine dumpfe Vorahnung in ihr regte.
»Vater -«, begann sie.
Pfarrer Bastians winkte ab. »Es sind gar nicht so üble Burschen«, sagte er. »Gewiss, sie waren hart und unerbittlich, doch sie fanden ihr Vorgehen angemessen, um die Diebe zu bestrafen. Wenn wir überleben wollen, bedarf es strenger Disziplin.«
»So wie bei Tryntgen?«
Pfarrer Bastians wurde bleich. »Alles wird gut«, murmelte er.
»Du wirst es selbst sehen.«
Judith warf einen Blick zur Langen Insel hinüber, wo sich der Rauch in die Lüfte kringelte. Wenn doch nur Wiebe und seine Männer zurückkämen! Dann würde nichts von alledem geschehen.
Ein kalter Wind näherte sich vom Strand, fegte durch die Lagerfeuer und ließ glühende Funken aufstieben.
Hie und da trug er Fetzen des Gelächters zu Judith hinüber.
Sie erkannte die Stimme van Huyssens, hörte dazwischen den Steinmetz grunzen und die Geräusche von Zinnbechern, die aneinander geschlagen wurden.
Ihr Vater klemmte sich die Bibel, die er aus den Wellen gerettet hatte, unter den Arm. »Ich werde sie von der Macht der Sühne überzeugen«, erklärte er.
»Ich glaube nicht, dass Conrad van Huyssen heute Abend sühnen möchte«, erwiderte Judith.
»Es steht dir nicht zu, an mir zu zweifeln«, entgegnete ihr Vater verärgert.
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Wie leicht er mich preisgibt! dachte Judith. Die älteste Tochter für ein Essen, für Macht und Respekt. Er schien es kaum abwarten zu können, den Tauschhandel zu vollziehen.
»Herr van Huyssen entstammt einer guten, gottesfürchtigen Familie«, gab Pfarrer Bastians zu bedenken. »Diese Einladung ist eine Ehre.«
»Vater!«, bat Judith. »Lass es gut sein. Ich weiß, dass man uns keine Wahl lässt.«
Conrad trat aus dem Zelt. Er trug einen neuen Rock mit goldener Bordüre. Jeronimus musste ihm den Mann ausgeliehen haben, der sonst seine eigene prächtige Kleidung nähte.
Van Huyssen verneigte sich vor Judith und ihrem Vater und winkte sie in sein Zelt.
Verglichen mit unserer eigenen Unterkunft handelt es sich hier um einen Palast, dachte Jud ith beim Anblick der schweren Silberleuchter und der schimmernden Seidenteppiche.
Auf dem Tisch türmten sich die Speisen. Welch geschickte Art, Vater gefügig zu machen, überlegte Judith, während sie auf die Berge von Krebsen, gebratenen Vogelleibern und Austern blickte.
»So viel!«, murmelte sie vor sich hin. So viel Überfluss,
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