Zorn der Meere
Jeronimus schmunzelte. »Nun, das wird sich gleich ändern.« Er lüpfte den Deckel des Kästchens. »Kommt näher! Möchtet Ihr es nicht sehen?«
»Wenn Ihr darauf besteht...«
»Meine stolze, kalte Schöne«, murmelte Jeronimus und schlug den Deckel zurück. »Na, was sagt Ihr jetzt?«, fragte er triumphierend. Er lachte vergnügt, als Lucretia den Atem anhielt. »Der Anblick macht Euch benommen, nicht wahr?«
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»Glaubt Ihr, mich damit verführen zu können?«
»Ich glaube, dass mir das auch ohne Kostbarkeiten gelingt, Lucretia. Nein, diese Vase dient lediglich als Beweis für Pelsaerts schlechten Charakter. Ich wollte Euch daran erinnern, falls Ihr Euch noch immer nach ihm verzehrt. Der Kommandeur war ein Schmuggler und ein Betrüger, meine Liebe. Dieses Stück hat er heimlich mitgeführt.«
»Ihr lügt.«
»Aber nicht doch, Lucretia. Ihr solltet nicht immer nur schlecht von mir denken. Kommt, setzt Euch neben mich! Ich habe noch weitere Schätze, die Pelsaert unter der Hand verkaufen wollte.«
Jeronimus öffnete das zweite Kästchen. Lucretia trat unwillkürlich vor. Jeronimus klappte den Deckel zu. »Zuerst einen Kuss!«, verlangte er.
»Nein!« Lucretia fuhr zurück.
»Für dieses Schmuckstück würde ein Fürst zehntausend Gulden bezahlen, Lucretia. Ich hingegen verlange nur einen Kuss.«
»Diese Schätze gehören Euch nicht. Ihr könnt nicht das Geringste dafür verlangen.«
»Ich fürchte, da habt Ihr Euch geirrt. Wie Ihr seht, halte ich diese Kostbarkeiten in meinen Händen. Ich kann damit tun, was mir beliebt. Ich verkörpere hier die Macht und das Leben, Lucretia. Wenn Ihr wollt, erfülle ich Euch jeden Wunsch.«
»Ach ja?«, fragte Lucretia verächtlich. »Nun, dann schafft mich nach Batavia. Ich möchte zu meinem Mann.«
Jeronimus erhob sich und griff nach ihrer Hand. »Das wollt Ihr mir weismachen?«, fragte er sanft. »Dass Ihr Euch nach Eurem kleinen Juwelenhändler sehnt? Kennt er denn wie ich Eure geheimen Wünsche und Gedanken? Weiß er Eure Träume zu erfüllen? Bebt Ihr in seiner Nähe - oder wünschtet Ihr
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lediglich, dass dem so wäre? Habt Ihr des Nachts auf der Batavia seinen Namen gestammelt?«
Lucretia spürte, dass sie errötete. Wusste Jeronimus tatsächlich, was sie vor aller Welt verbarg? Wusste er, dass sie ihren Mann nicht mehr liebte?
Jeronimus strich Lucretia über das Haar. »So berückend schön!«, flüsterte er. »Ihr seid dazu geschaffen, Kleinodien zu tragen.«
»Derlei bedeutet mir nur wenig«, erklärte Lucretia, indem sie Jeronimus' Hände abwehrte.
Jeronimus lächelte duldsam. »Wer von uns beiden ist nun derjenige, der lügt, Lucretia? Schöne Frauen sehnen sich danach zu glänzen, und auch Ihr wollt funkeln, leuchten, wollt angebetet werden! Ihr wollt einen Mann, der Euch krönt.«
Jeronimus' Finger strichen zärtlich über Lucretias Wange.
»Ich möchte nicht, dass Ihr mich berührt.«
»Ein Kuss von Euren Lippen, und das Kästchen ist Eures.«
Lucretia spürte, dass sich Jeronimus' Arme um sie schlangen.
Sie stieß ihn zurück. »Ich sagte, Ihr sollt mich nicht berühren!«, zischte sie.
Jeronimus' Miene verhärtete sich. »Ich könnte Euch schlagen«, bemerkte er kalt. »Doch das ist unter meiner Würde.
Ich weiß, dass Ihr ohnehin irgendwann zu mir kommt. Geht jetzt, Lucretia, für den Moment bin ich Eures Getändels überdrüssig.«
Welch seltsames Machtspiel Jeronimus betreibt, dachte Lucretia, nachdem sie sich in ihr Zelt zurückgezogen hatte. Er hätte sie mit Gewalt nehmen können, doch daran war ihm offenbar nicht gelegen. Er wollte, dass sie aus freien Stücken zu ihm kam. Vielleicht widerstrebte es ihm auch, eigenhändig Gewalt auszuüben, vielleicht bereitete ihm lediglich das Schauspiel der Gewalt Genuss. Es konnte jedoch auch sein, dass
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er noch immer über ein Quäntchen Stolz verfügte und es tatsächlich unter seiner Würde fand, sie gewaltsam zu bezwingen.
Judith schmiegte sich enger an Conrad und bettete ihren Kopf an seine Brust. Ich liebe seinen Körper, dachte sie, ich liebe seine Berührung, doch ich verabscheue den Menschen, weil er ein Ungeheuer ist.
Judith hörte die Segelwände im Wind schlagen und vernahm die einsamen Vogelrufe in der Nacht. Ich bin so heillos geworden wie die Landschaft, die mich umgibt, grübelte sie, ohne Gott, ohne Gnade, ohne Erlösung. Sie strich Conrad über die Brust. Es fä llt mir täglich schwerer, ihn zu hassen. Ich muss mich zwingen, es zu tun, und wenn ich
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