Zorn der Meere
schluchzte Aldersz. »Ich folge jedem Befehl.«
Jeronimus seufzte. »Verbindet ihm die Augen.«
»Bitte!«, flehte Aldersz.
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»Hör auf zu betteln«, fuhr Jeronimus ihn an. »Ich sagte doch, dass dir nichts geschieht. Es ist nur ein Spiel.«
»Was... was habt Ihr vor?«
»Das werde ich dir sofort erklären.«
Zeevanck band ein Seidentuch um Aldersz' Augen.
Jeronimus blickte suchend um sich. Er lächelte zufrieden, als Mattys Beer mit dem frisch geschärften Schwert herbeigeeilt kam.
»Muss das sein, Generalkapitän?«, fragte Wouter Loos leise.
»Aldersz gehört doch zu uns.«
Jeronimus machte eine unwirsche Geste. »Sei still!«, befahl er barsch. »Du verdirbst mir die Freude.«
»Nehmt mir das Tuch ab!«, bat Aldersz weinend.
Jeronimus hob die Hand.
Wie ein Blitz schoss das Schwert durch die Luft. Aldersz'
Kopf rollte in den Sand, während sein Körper vornüber sank.
Aus seinem Hals schoss das Blut.
Jeronimus wartete, bis die Beine des Toten aufgehört hatten, zu zucken. Dann spendete er Mattys Applaus.
Mattys verneigte sich grinsend.
»Nimm ihm die Augenbinde ab«, sagte Jeronimus. »Er hatte doch so inständig darum gebeten.« Er bückte sich, hob den Kopf auf und hielt ihn hoch. »Warum sagst du nichts mehr?«, erkundigte er sich. Dann wandte er sich an die anderen. »Ich glaube, der Schelm ist sprachlos geworden.«
Der Steinmetz und Zeevanck brüllten vor Lachen.
Jeronimus warf den Kopf in den Sand. »Aldersz ist ein Spielverderber«, erklärte er enttäuscht. »Er hat keinen Sinn für Humor.«
Als Jeronimus Beifall heischend in die Runde blickte, entdeckte er Lucretia, die ihn beobachtete. Sie zieht schon
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wieder ein Gesicht, dachte er. Ein wenig Humor könnte der Dame nun wirklich nicht schaden.
Noch in derselben Nacht machten sie sich auf, um Deschamps einen Besuch abzustatten. Als sie sein Zelt betraten, verkroch er sich in einer Ecke.
»Was ist denn das für eine Begrüßung, Salomon?«, rügte Jeronimus. »Ich dachte, wir wären gern gesehene Gäste.«
Jeronimus hielt seine Fackel in die Höhe. Deschamps' Gesicht war schweißüberströmt, und seine Augen blickten panisch von einem zum anderen.
Jeronimus beugte sich vor. »Sieh mich an, Salomon!«, flüsterte er. »Ich will dir lediglich ein paar Fragen stellen.«
Deschamps schluckte mehrmals, brachte jedoch keinen Ton hervor.
»Ich habe ein kleines Problem«, fuhr Jeronimus fort. Er richtete sich auf und deutete auf die Jonkers, die hinter ihm standen. »Diese Männer behaupten, einem jüdischen Kaufmann dürfe man nicht trauen. Stimmt das, Salomon? Hintergehst du mich?«
Deschamps schüttelte den Kopf. »Ihr... könnt mir... trauen«, stammelte er.
Jeronimus setzte sich neben Deschamps und legte ihm einen Arm um die Schultern. »Siehst du, das habe ich ihnen auch erklärt. Treu bis in den Tod.«
»Tut mir nicht weh!«, bettelte Deschamps.
»Aber, aber, wie käme ich denn dazu?«
Zeevanck begann zu prusten, und auch die beiden van Weiderens kicherten belustigt.
Jeronimus hob einen mahnenden Finger, und jedermann verstummte.
»Hörst du das Geräusch?«, fragte Jeronimus Deschamps leise.
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Sie hörten es alle. Es stammte von einem weinenden Kind.
Deschamps nickte. »Ja«, flüsterte er.
»Wirst du das abstellen können, Deschamps?«
Deschamps schlug die Hände vors Gesicht. »Bitte«, flehte er,
»ich bin Euer ergebener Diener, aber -«
»Was aber, Salomon? Tut ein ergebener Diener nicht wie befohlen?«
»Es ist doch ein kleines Kind !« Deschamps schluchzte.
»Na, siehst du. Es wird also gar nicht so schwer.«
Jeronimus klopfte Deschamps tröstend auf die Schulter. »Die Entscheidung liegt ganz bei dir«, raunte er ihm ins Ohr, ehe er sich erhob und sich mit den anderen wieder nach draußen begab.
Am Morgen traf Lucretia auf Mayken Cardoes, die mit seltsam irrem Blick umherstreifte und fortwährend etwas vor sich hin murmelte.
»Mayken«, sagte Lucretia. »Was hast du?«
Die andere hörte sie nicht. »Wo ist mein Kind?«, fragte sie.
»Wo ist mein Kind?«
Lucretia wollte Mayken in die Arme nehmen, doch Mayken versteifte sich und wehrte sie ab. »Wo ist mein Kind?« fragte sie erneut.
Es dauerte lang, bis Lucretia Mayken ihre Geschichte entlockte, und dann wollte sie sie zuerst nicht glauben. Hatte Deschamps Mayken tatsächlich halb bewusstlos geschlagen und danach vor den Augen der Mutter ihr Kind erwürgt? War er wirklich anschließend fortgehetzt und hatte das leblose Bündel ins
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