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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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zu machen und frage mich, woher diese entsetzliche Angst vor dem Eingeständnis rührt?
    Sie rührt aus der Angst vor der Bestrafung, erwidern Sie.
    Nicht dumm, aber leider nur bedingt richtig, da es zu kurz gegriffen ist.
    Gestatten Sie mir deshalb, einen Schritt weiter zu denken.
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    Im Grunde, will mir scheinen, ängstigt der Mensch sich vor sich selbst, vor seinem Wesen - und vor den Begierden, die diesem Wesen entwachsen.
    Im Grunde versteht er sich nämlich recht gut. Oder geht es Ihnen etwa anders? Was bewegt Sie denn und hält Sie am Laufen?
    Oh, richtig, ich vergaß, das war ja die Tugend.

    Achtundzwanzig Grad und siebzehn Minuten südlicher Breite
    dreizehnter Tag des September im Jahre des Herrn, 1629

    Jakobsen reichte Francois das Teleskop. »Schaut selbst einmal hindurch! Ich glaube, da hinten ragen Felsspitzen empor.«
    Francois ergriff das Teleskop mit einer hastigen Bewegung und spähte hindurch. Kleine weiße Schaumspuren kräuselten sich in dem runden Ausschnitt, den er sah. Sie konnten sowohl von Felsen stammen als auch die Folge einer Gegenströmung sein.
    »Wir müssen näher heran«, murmelte er und ließ das Fernglas sinken.
    Jakobsen schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich«, brummte er.
    »Die Batavia ist bei Nacht durch die Riffe navigiert worden«, betonte Francois. »Nun ist heller Tag. Wenn wir Vögel wären, könnten wir zu dem Wrack fliegen. Leider sind wir das nicht.
    Deshalb müssen wir uns wohl oder übel auf unsere Weise dorthin begeben. Und das bedeutet, dass wir das Houtmans Riff ansteuern müssen.«
    »Das gefällt mir nicht«, beharrte Jakobsen störrisch.
    Francois zwang sich, tief Luft zu holen. »Herr Kapitän«, begann er so geduldig wie möglich. »Wir sind seit sechzig
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    Tagen unterwegs. Seit einem Monat bewegen wir uns zwischen denselben Breitengraden hin und her. Wir haben weder das Wrack gesichtet noch die Schiffbrüchigen auf der Insel. Der Grund dafür ist, dass sie woanders sind. Nämlich hinter dem Houtmans Riff.«
    »Wenn wir die Zandaam verlieren -«
    »Wir verlieren die Zandaam nicht, wenn wir behutsam vorgehen. Doch wenn wir hier bis in alle Ewigkeit verweilen, wird aus dem Schiff ein morscher Kahn, auf dem wir mit langen grauen Haaren und langen grauen Barten sitze n.«
    Jakobsen machte abermals Anstalten, einen Einwand zu erheben, doch Francois wehrte ab. »Jetzt oder nie«, sagte er.
    »Seid ein Mann! Wir werden es schaffen.«
    Jakobsen hat noch alles zu verlieren, dachte Francois, als er die unschlüssige Miene des anderen sah. Ich hingegen nichts mehr außer meinem kläglichen Leben.
    Auf dem Schiff herrschte angespannte Stille, als sie sich Zoll für Zoll auf die Riffe zubewegten. Immer wieder maß Claas Gerritz die Tiefe mit dem Lot. Bisweilen wechselten er und Francois Blicke. Jeder wusste, was der andere dachte. Solange das Meer ruhig blieb, konnte es ihnen gelingen, doch sollte das Wetter umschlagen, und der Wind Sturmwellen bilden, konnte die Zandaam ebenso scheitern wie die Batavia.
    Das Wetter schlug indes nicht um. Sicher und ruhig glitten sie durch die Wellen.
    »Zwanzig Faden«, verkündete Claas Gerritz schließlich. »Wir haben es geschafft.«
    Die Seeleute brachen in Jubelschreie aus.
    »Herzlichen Glückwunsch, Kapitän«, bemerkte Francois und klopfte Jakobsen auf den Rücken. »War doch gar nicht so schwer, oder?«
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    Jakobsen wischte sich den Schweiß von der hochroten Stirn und grinste. Zu sagen vermochte er nichts.

    Auf dem Friedhof

    Judith saß am Strand. Reglos starrte sie auf das Meer.
    »So sitzt sie schon seit dem Morgen da«, teilte Sussie Lucretia mit. »Sie rührt sich nicht und sie sagt auch kein Wort.«
    Lucretia ließ sich neben Judith nieder.
    »Judith«, murmelte sie.
    Judith reagierte nicht.
    »Es waren zu viele«, bemerkte Sussie. »Alle haben sich in der Nacht über sie hergemacht. Jeder von ihnen. Sie haben sich abgewechselt.«
    »Judith«, wiederholte Lucretia leise.
    Nichts. Judith schien sie nicht zu hören.
    Lucretia berührte sachte Judiths Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich herum. Leere, tote Augen.
    Judith ist nicht mehr da, erkannte Lucretia. Sie hat sich verkrochen, irgendwo in der inneren Dunkelheit hält sie sich versteckt.
    Lucretia legte den Arm um Judiths Schultern. »Du musst zurückkommen, Kleine«, flüsterte sie. »Ich weiß, wo du bist. Ich kenne den Ort, doch er ist gefährlich. Du darfst dort nicht verweilen.«
    »Der Steinmetz verfährt am ärgsten mit ihr«, sagte

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