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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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der im Begriff war, eine Ledertasche mit Dokumenten zu füllen.
    »Lasst das liegen, Deschamps!«, befahl Francois und richtete sich auf. »Kommt mit mir!«
    Deschamps tat wie geheißen.
    Es wunderte Francois, dass er noch immer über Kraftreserven verfügte und es aufrecht bis zu seiner Kajüte schaffte. Dort
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    lagen ringsum Papiere verstreut, und seine Reisetruhe war bis ans Ende des Raumes geschlittert.
    Francois griff unter sein Hemd und zog eine Goldkette mit mehreren Schlüsseln hervor. Er suchte drei davon heraus, öffnete die Truhe und entnahm ihr zwei Kästchen. Die reichte er Deschamps.
    »Ich möchte Euch etwas anvertrauen«, erklärte er. »Es handelt sich um wertvolles Eigentum der Companie. Schlagt die Kästchen in Ölzeug ein, damit niemand erkennt, was es ist.
    Sollte mir etwas zustoßen, übergebt Ihr sie persönlich dem Gouverneur. Bis dahin schützt Ihr sie mit Eurem Leben.
    Versprecht Ihr mir das?«
    Deschamps nickte stumm und nahm die Kästchen und die dazugehörigen Schlüssel entgegen.
    »Seht zu, dass Ihr eins der nächsten Boote besteigt. Und Gott sei mit Euch!«
    »Dasselbe wünsche ich Euch, Herr Kommandeur!«, erwiderte Deschamps, ehe er sich entfernte.
    Nachdem Francois allein war, übermannte ihn die Sorge um Rubens' Kostbarkeiten mit Macht. Die Fracht zu verlieren konnte ihm bereits zum Verhängnis werden, doch wenn er die Kästchen verlöre, war er ein toter Mann.
    Jemand stieß die Tür zu Jeronimus' Kajüte auf. Er hatte sich in eine dunkle Ecke verkrochen. Die Angst besitzt einen eigenen Geruch, dachte er, ein unangenehmes Gemisch aus kaltem Schweiß und bitteren Körpersäften.
    Der Skipper hielt seine Öllampe hoch und blinzelte im Licht.
    »Da steckt Ihr also! Der Kommandeur sucht Euch schon an allen Ecken und Kanten.«
    Jeronimus wollte etwas erwidern, doch seine Zunge klebte an seinem trockenen Gaumen fest.
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    »Was tut Ihr hier eigentlich?«, fuhr der Kapitän fort. »Denkt Ihr über Eure Sünden nach?«
    »Wie ist es um uns bestellt?«, krächzte Jeronimus.
    »Prächtig, ganz prächtig. Wir sind aufgelaufen, falls Ihr das noch nicht wisst.«
    »Warum macht Ihr das Schiff nicht wieder flott?«
    Jacobs lachte höhnisch auf. »Das Schiff ist erledigt, Mann, tot, aus, aufgespießt wie ein Falter! Ebenso gut könntet Ihr mich fragen, warum ich nicht gleich den Felsen flottmache.«
    »Aber es muss doch einen Ausweg geben«, flüsterte Jeronimus.
    »Nicht für dieses Schiff! Auch nicht für Euch, wenn Ihr weiter dort hocken bleibt. Es dauert nicht mehr lang, bis der Rumpf auseinander bricht.«
    »Was ist aus den Schatztruhen geworden?« Jeronimus hatte sich halb aufgerichtet.
    Jacobs warf ihm einen argwöhnischen Blick zu. »Das möchtet Ihr wohl gern wissen, was?«, brummte er missfällig, ehe er sich umwandte und verschwand.
    Jeronimus hörte die Menschen schreien. Er wollte aufstehen, um dem Skipper nachzulaufen, doch seine Beine versagten ihm den Dienst. Er sank zurück und schlang die Arme um seine Brust. Dann weinte er.
    Später rollte er sich in einer Ecke zusammen und wimmerte leise vor sich hin. Es klang wie bei einem kleinen Kind.

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    XII

    Inzwischen haben Sie erkannt, dass ich philosophische Neigungen verspüre. Man kann auch kaum umhin, wenn einem der Mensch als Studienobjekt dient.
    Allerdings wird man selbst bei den interessantesten Objekten der Beobachtung bisweilen müde. In solchen Augenblicken ist es geboten, sie neu zu beleben.
    Im vorliegenden Fall habe ich die Menschen mit der Todesgefahr konfrontiert.
    Die grundsätzliche Frage lautet: Wie werden sie reagieren?
    Im Besonderen interessiert mich jedoch, wie weit der Einzelne geht, um sein Leben zu erhalten. Welche ethischen Überzeugungen opfert er auf? Wird er die, die er liebt, verraten?
    Die Vorbedingungen sind geschaffen. Jetzt lehne ich mich zurück, um zu warten.
    Die Spannung ist nun garantiert, denn unter dem Einfluss des Extremen werden die meisten von uns unterhaltsam. Dann schält sich unser wahrer Charakter heraus - ganz ähnlich wie im Trunk.

    Auf dem Wrack

    Der Kapitän hatte eine Stelle am Bug erklommen, von wo aus er das Verladen der Passagiere, des Proviants und der Fracht überwachen konnte. An die hundert Menschen befanden sich inzwischen auf jener felsigen Insel, die er bei seiner Erkundungsfahrt als eine der größeren in der Gruppe ausgemacht hatte.
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    Als Jacobs sein Fernglas ans Auge setzte, erkannte er, dass sich die Geretteten abermals rauften und balgten. Wie

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