Zorn der Meere
Gedanken mehr gefasst hatte. Das, was ihm durch den Kopf wirbelte, betraf vor allem die Konsequenzen, die er in Java zu gewärtigen hatte. Immerzu malte er sich aus, wie er dem Gouverneur gegenübertrat, um ihn von dem Verlust der Fracht zu unterrichten. Ich hatte dem Kapitän aufgetragen, die Marsen zu bemannen, würde er erklären. Und danach? Was würde er als Nächstes darlegen?
Und was sollten seine Auskünfte bewirken? Keine seiner Entschuldigungen würde das Geschehene rückgängig machen.
Es hatte zu regnen begonnen, doch Francois merkte es kaum.
Er spürte, dass er abermals schwitzte. Ist das nun die Furcht oder ein neuerlicher Anfall meines Fiebers? fragte er sich flüchtig und fuhr sich über die Stirn. Sie fühlte sich heiß an. Ich müsste mich hinlegen, dachte er. Jemand soll diese Bürde von meinen Schultern nehmen. Ich brauche ein wenig Ruhe, ich muss schlafen, ich wollte, ich würde nie mehr wach...
-195-
Er sah, dass ein Boot von der Insel zurückkam und längsseits des Wracks festmachte. Halfwaack, einer der Steuerleute, hielt sich am Fallreep fest. Er wölbte die Hand um den Mund und brüllte etwas zu ihnen empor.
Jacobs wandte sich zu Francois um. »Es ist kaum noch Trinkwasser übrig. Offenbar haben die Soldaten zu spät für Ordnung gesorgt.«
Francois machte eine hilflose Geste. »Das kann ich nun auch nicht mehr ändern«, bemerkte er.
»Ihr müsst zu ihnen hinüberfahren und sie beruhigen! Hier könnt Ihr ohnehin nichts mehr verrichten.«
»Ich werde das Schiff nicht verlassen, solange sich das Silber noch an Bord befindet. Ihr wisst, dass die Fracht meiner Verantwortung untersteht.«
»Liegt sie Euch mehr am Herzen als die Menschen da drüben?«
»Warum fahrt Ihr nicht hinüber und redet mit Ihnen?«
»Weil Ihr der Kommandeur seid, und weil sie auf mich nicht mehr hören.«
»Was ist mit Jeronimus?«, erkundigte sich Francois. »Wenn er noch lebt, soll er sich um die Leute kümmern.«
Der Kapitän stieß einen Seufzer aus. »Wir gehen beide«, erklärte er schließlich. »Ohne Wasser sind wir schließlich alle verloren.«
Die unruhigen grauen Wogen verschwammen Francois vor den Augen, doch ihm war klar, dass er sich der Gestrandeten annehmen musste. Er musste ihnen ins Gewissen reden und sie beruhigen. Vielleicht schaffte er es tatsächlich, sie zur Vernunft zu bringen. Als er sich umblickte, entdeckte er van Huyssen, der sich an der Bordwand fest hielt. Francois bedeutete ihm, näher zu kommen.
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»Ihr und die Kadetten wacht über das Silber«, trug er ihm auf.
»Ich bleibe über Nacht auf der Insel. Sobald es tagt, komme ich zurück.«
Er wandte sich ab, kletterte über die Reling und ließ sich am Fallreep hinunter.
»Setzt er sich ab?«, fragte van Huyssen den Kapitän.
»Der doch nicht! Wie denn?«, lautete die Antwort.
»Es passt mir dennoch nicht, ohne ihn zurückzubleiben.«
»Du bist nicht allein, Junge«, spottete der Skipper. »Deine Freunde bleiben bei dir und halten dir die Hand.«
Inzwischen war es dämmrig geworden. Francois sah das Langboot unter sich auf den Wellen tanzen. Mal schlug es mit dumpfem Gepolter an die Wand des Schiffes, mal trieb es wieder davon und hinterließ einen blassgrauen Streifen.
»Springt!«, ertönte es unter ihm.
Francois schloss die Augen und ließ die Strickleiter los. Im Boot griffen Hände nach ihm und halfen ihm auf.
Gleich darauf landete jemand neben ihm, und danach noch einer.
Jan Everts und der Skipper.
»Ich dachte, Ihr wolltet auf der Batavia bleiben«, wunderte sich Francois.
Jacobs zuckte die Achseln. »Die kommen auch ohne mich zurecht.«
Francois schaute in die Höhe. Er sah Köpfe über sich und offene Münder, die etwas riefen.
»Wir lassen euch nicht im Stich!«, brüllte Francois zu ihnen hinauf. »In der Frühe kehren wir zurück.« Ein Windstoß erfasste ihn von hinten. Er taumelte und ruderte mit den Armen durch die Luft.
-197-
Abermals gab es Hände, die ihn auffingen und auf eine Bank niederdrückten. Francois sah Jacobs hämisch grinsen.
Das Boot drehte ab und trieb mit dem Wind in Richtung der Felseninsel.
Francois blickte zurück zur Batavia. Wie ein gestrandeter Wal lag sie im schwindenden Licht, ein riesiger schwarzer Schatten, ein Ungeheuer, das langsam versank. Francois spürte Übelkeit in sich aufsteigen. Ihm war, als würde ihm das ganze Ausmaß des Entsetzens nun erst in seiner Endgültigkeit bewusst. Sein Magen verkrampfte sich.
Im Laderaum waren inzwischen auch die
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