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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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Lucretia durch den Sinn.
    Vermutlich hat ihm nie etwas an den Passagieren gelege n und nie etwas an der Fracht, doch über den Verlust seines prachtvollen Flaggschiffes kommt er nicht hinweg. Es wird ihm auch einerlei sein, welche Strafe die Gesellschaft über ihn verhängt, denn er hat nun begriffen, dass er an sich selbst gescheitert ist, dass sein Eigensinn ihn die Batavia gekostet hat.
    »Wir müssen uns das Dingi verschaffen«, drängte Jan Everts.
    »Schaut Euch doch nur diese Meute an! Die sind erledigt, Skipper. Besser, wir setzen uns ab!«
    Die beiden Männer entfernten sich.
    Lucretia schaute ihnen nach. Das dürfen sie nicht tun, dachte sie - und wo wollen sie überhaupt hin?
    Nach einer Weile merkte sie, dass jemand an ihrem Ärmel zerrte. Francois! Er zog sie mit sich fort. »Beeil dich!«, rief er.
    »Sieh zu, dass du in eins der Boote kommst!«
    Sie hielt ihn fest, um ihm zu erzählen, dass der Kapitän mit seinem Bootsmann flüchten wollte, doch da hatte er sie bereits in die Menge gestoßen. »Alles wird gut!«, schrie er ihr hinterher.
    Als Lucretia den Kopf umwandte, sah sie Francois in Richtung Heck weiterhasten, wo Jan Everts und Jacobs
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    inzwischen standen. Es sieht aus, als erwarteten sie ihn, wunderte sie sich.
    Nachdem Wiebe Hayes die kleine Inselgruppe gesichtet hatte, hätte er am liebsten gelacht und allen zugerufen, die Hoffnung fahren zu lassen. Auf diesen kargen Felsgebilden gibt es kein Überleben, wollte er laut verkünden, ganz gleich wie blindwütig ihr ihnen entgegenstrebt.
    Nun gut, dachte Wiebe, dann sterbe ich eben an einer Lunge voller Salzwasser anstatt an einer Kugel. Dabei hätte ich gewettet, dass es gerade andersherum kommt.
    Wiebe beobachtete, wie die Menschen sich gegenseitig niederstießen. Einer der guten, gottesfürchtigen Christen drängte ein Kind aus dem Weg, um sich zu retten - oh, und der Herr Prediger hatte es ganz besonders eilig zu flüchten. Eins, zwei, war er über die Reling geklettert, schon hangelte er sich an der Leiter hinab und ruckzuck saß er im Boot.
    Wo war seine Tochter abgeblieben?
    Wiebe entdeckte Judith eingekeilt in der Menge und kämpfte sich zu ihr durch.
    »Hier geht's lang!«, sagte er.
    Dann nahm er sein ganzes Gewicht zu Hilfe, um eine Schneise in die Menschenleiber zu schlagen. »Die Kleine hier kommt als Nächste dran!«, brüllte er einem Matrosen zu.
    Wiebe hob Judith hoch. Sie wiegt gar nichts, dachte er. Wie schmal ihre Taille ist! Er sah ihr blasses Gesicht. »Der Herr sei gelobt«, murmelte sie. Kurz darauf hatte sie auf dem Fallreep Fuß gefasst und verschwand vor Wiebes Augen.
    Der Herr sei gelobt? Wiebe schüttelte den Kopf. Was hatte denn der Herr dazu beigetragen? Der Herr hatte weder Judith geholfen, noch würde er sich großartig Gedanken um Wiebes Rettung machen. Wiebe hatte zwar nichts dagegen, sonntags Loblieder zu singen, und er glaubte auch an Gott, doch wenn es
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    um praktische Angelegenheiten ging, verließ er sich lieber auf seinen Verstand und seine Muskelkraft.
    Lucretia wusste kaum, auf welche Weise sie zuletzt doch noch in einem der Boote gelandet war. Sie entsann sich lediglich, dass sie aufgeschrien hatte, als Hände nach ihr griffen, um sie über die Reling zu heben, dass ihre Füße dann aber wie von allein Halt gefunden hatten, als sie das Fallreep ertasteten.
    Am Schluss hatte sie einen Schritt ins Leere getan. Sie erinnerte sich auch des schrecklichen Moments, als sie damit rechnete, ins Meer zu stürzen, doch stattdessen war sie auf hartem Boden aufgetroffen, und weiche Frauenarme hatten sie aufgefangen.
    Lucretia blickte zu dem schräg aufragenden Schiffsrumpf empor, den die Flut weiterhin über die Felsen scheuerte. Sie sah die Spitze des Großmastes hervorstehen, umgeben von Segelfetzen und einem Gewirr von Tauen. Es stiegen immer noch Menschen über die Reling. Wie eine Ameisenprozession.
    Nun bin ich also gerettet, dachte Lucretia, um sich gleich darauf nach dem Sinn und Zweck dieses Umstandes zu fragen.
    Sie kauerte sich am Rand des Bootes nieder. Ihr Kleid war durchnässt, und sie zitterte vor Kälte. Als das Boot zu schlingern begann, krallte sie sich indes wie von selbst an der Bordwand fest. Da schau an! wunderte sie sich. Ich habe alle Lust am Leben verloren und dennoch kämpfe ich um den kläglichen Rest.
    Der Kiel war unter der Batavia weggerutscht. Francois kletterte auf allen vieren über den Gang auf die Offiziersmesse zu. Die Tür stand offen. Francois erkannte Deschamps,

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