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Zorn der Meere

Zorn der Meere

Titel: Zorn der Meere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Falconer,Colin
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beschloss, die Lage im Frachtraum mit eigenen Augen zu überprüfen.
    Als er sich durch die Bodenluke gleiten ließ, schwankte ihm als Erster der Obergefreite entgegen, den alle Steinmetz nannten. Er hatte sich offenbar aus den Frachtkisten bedient, denn um seine Hüften schlang sich ein fein gewebtes buntes Tuch. Als er Francois erblickte, begann er sich einladend in den Hüften zu wiegen und schmatzte ihm mit gespitzten Lippen Küsse zu.
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    Wenn er wüsste, wie grotesk er wirkt, ließe er den Unfug bleiben, dachte Francois, ehe er sich sammelte und schroff befahl: »Hört sofort mit dem Theater auf! Schert Euch an Deck!«
    »Oh, Ihr sollt nicht so garstig mit mir sein, Geliebter!«, flötete der Steinmetz geziert. »Ich bin doch Eure Lucretia!« Er legte sich das Tuch um die Schultern und wackelte mit seinem Hinterteil.
    Francois betrachtete ihn mit einer Mischung aus Ekel und Zorn. »Ihr begebt Euch augenblicklich nach oben!«, wiederholte er. »Wenn nicht, betrachte ich das als Meuterei!« Seine Hand griff nach dem Dolch, den er im Gürtel trug.
    Die anderen Männer verstummten. Einige von ihnen tasteten nach ihren Waffen.
    Francois erblickte den Marschall, der unmerklich den Kopf schüttelte. Wahrscheinlich hat er Recht, überlegte Francois. Als ob diese Männer sich noch an die Vorschriften hielten! Nach ihrer Ansicht haben sie ohnehin nichts mehr zu verlieren.
    Wahrscheinlich würden sie mich eiskalt ermorden.
    Francois merkte, dass ihm schwindelte. Er musste zurück an die frische Luft. Als er schwankte, war der Marschall im Nu an seiner Seite und half ihm den Aufstieg hoch. Schadenfrohes Gelächter schallte hinter ihnen her.
    Das verdanke ich alles dir, Jacobs, dachte Francois.

    Auf dem Friedhof

    Viel gehört nicht dazu, die Menschen in Tiere zu verwandeln, überlegte Lucretia. Selbst Pfarrer Bastians, der doch einmal behauptet hatte, dass Gott die Menschen erhöhe, war auf ihren Stand hinabgesunken und kämpfte um sich schlagend und tretend um ein Wasserfass. Ein Großteil der geretteten Fässer

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    war inzwischen aufgebrochen worden. Ihr Inhalt versickerte im Sand.
    Es hatte damit begonnen, dass einige Männer Fässer beiseite rollten und behaupteten, sie müssten die Versorgung von Frau und Kindern gewährleisten. Daraufhin merkten die anderen auf und klagten, sie würden übergangen. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Handgreiflichkeiten einsetzten und anschließend ein erbitterter Kampf.
    Kurz darauf hatten die Soldaten eingegriffen und mit den Fäusten für Ordnung gesorgt. Nun gab es ringsum aufgeplatzte, blutige Lippen und Augen, die zuschwollen und sich verfärbten.
    Die restlichen Wasserfässer wurden fortan von einem Spalier Soldaten mit aufgepflanztem Bajonett bewacht.
    Ein Gefreiter trat auf Lucretia zu. »Madame, habt Ihr schon etwas getrunken?«
    Lucretia schüttelte den Kopf. Ihr Mund fühlte sich klebrig an, ihre Kehle war ausgedörrt, und sie vermochte kaum mehr zu schlucken. Doch es war ihr gleich. Sie wusste, dass sie auf diesem Ödland umkommen würde; es war lediglich eine Frage der Zeit.
    Der Gefreite trug einem Soldaten auf, Lucretia eine Schöpfkelle mit Wasser zu besorge n.
    »Der Herr Pfarrer hat den Tumult ausgelöst«, erklärte er, als er Lucretia die Kelle an die Lippen hielt. »Er hat auf einem eigenen Fass bestanden. Der Marschall konnte ihn verjagen, doch mit dem Pfarrer fing alles an.«»Wie viel Wasser haben wir noch?«, erkundigte Lucretia sich matt.
    »Fragt lieber nicht«, murmelte der Gefreite, ehe er sich wieder zu seinen Kameraden begab.
    Allmählich wurde es Abend. Dunkle Wolken jagten über den Himmel. Der Wind wurde schärfer und fraß sich bis auf die Knochen durch.
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    Lucretia schaute sich um. Die ersten Menschen krochen Schutz suchend hinter die Felsen oder rückten sich unter den dürren Zweigen der mageren Büsche zurecht.
    Diese kümmerlichen Orte der Zuflucht werden ihnen ebenso wenig nutzen wie die verbleibenden Tropfen Wasser, dachte Lucretia.

    Auf dem Wrack

    Claas Gerritz tauchte aus dem Laderaum auf, um dem Kapitän zu verkünden, das Wasser aus den Lecks habe den restlichen Proviant verdorben, und das Salzwasser sickere in die verbliebenen Wasserfässer ein.
    »Die hätten wir eben als Erstes hochschaffen müssen«, knurrte der Kapitän. »Und nicht das verdammte Silber.«
    Francois überging seine Bemerkung. Er hatte sich an ein Stück Reling geklammert und wusste, dass er bereits seit geraumer Zeit keinen vernünftigen

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