Zorn des Loewen
geneigt. »Kommen Sie näher, Mann. Ich sehe nicht mehr so gut.«
Mallory näherte sich dem Tisch und schaute in die umwölkten, blauschimmernden Augen. Der General streckte seinen Arm aus und schlug ihm wohlwollend auf die Brust. »Meine Schwiegertochter erzählt mir, daß Sie ein guter Seemann sind.«
»Ich hoffe«, sagte Mallory.
»Wie hieß Ihr letztes Schiff?«
»S. S. Pilar, ein Öltanker. Tampico – Southampton.«
Der General wandte sich an Anne. »Hast du seine Papiere überprüft?« Sie verneinte und schaute zu Mallory auf. »Darf ich sie sehen?«
Mallory zog eine Brieftasche aus der hinteren Hosentasche, entnahm ihr ein gefaltetes Stück Papier und einen Gewerkschaftsausweis und legte beides auf den Tisch.
»Sieh nach, wann er zuletzt abgeheuert hat, und überprüf den Ausweis. Da müßte ein Foto drin sein.«
Anne schaute sich die Dokumente rasch an und nickte. »Abgeheuert von der S. S. Pilar, Southampton am 1. September.« Sie reichte ihm die Papiere lächelnd zurück. »Es ist kein sehr gutes Foto.«
Mallory gab darauf keine Antwort, und der General ergriff wieder das Wort. »Die Bedingungen, die Mrs. Grant mit Ihnen vereinbart hat, sagen Ihnen zu?«
»Vollkommen.«
»Sie erhalten noch eine Zulage von einhundert Pfund als Anerkennung dafür, wie Sie die Angelegenheit in Southampton angepackt haben.«
»Das ist nicht nötig, Sir«, bemerkte Mallory kühl.
Augenblicklich lief das Gesicht des Generals rot an. »Verdammt noch mal, Sir, wenn ich sage, daß es nötig ist, dann ist es so. Sie werden meinen Befehlen gehorchen wie alle anderen auch.«
Mallory zog seine Mütze zurecht und wandte sich an Anne.
»Sie erwähnten eine Tauchausrüstung, die ich zum Boot hinunterbringen sollte?«
Sie warf einen hastigen Blick auf das blutrote Gesicht des Generals und sagte rasch: »Sie werden im Hof hinten einen Kombiwagen vorfinden. Jagbir hat ihn schon beladen. Ich komme etwas später am Nachmittag hinunter.«
»Ich werde Sie erwarten.« Mallory drehte sich zum General hin. »Noch irgend etwas, Sir?«
»Nein. Gehen Sie zum Teufel!« brach es aus dem alten Mann hervor.
Ein Lächeln zuckte um Mallorys Mundwinkel. Sein Arm hob sich instinktiv zu einem militärischen Gruß. Er besann sich gerade noch rechtzeitig eines Besseren, schaute kurz zu Anne, drehte sich um und lief locker die Stufen hinauf.
Der General brach in ein Lachen aus. »Gieß mir noch einen Brandy ein.«
Anne entkorkte die Flasche und griff nach einem Glas. »Ist mein Verdacht richtig, daß dein Verhalten Absicht war?«
»Selbstverständlich«, bestätigte der Alte. »Und ich füge deiner Einschätzung noch etwas Geheimnisvolles hinzu: Da geht ein Mann, der einmal gewohnt war, zu befehlen, und zwar an hoher Stelle. Ich habe nicht vierzig Jahre umsonst bei der Armee verbracht.«
Hoch auf den Klippen an der westlichen Seite der Insel erklommen Raoul Guyon und Fiona Grant einen steilen Hang. Vor ihnen schien die Insel über die Klippen abzustürzen. Der breite, gezackte Felsenkamm, der sie mit St. Pierre verband, war unter der Wasseroberfläche sichtbar. »Schau«, sagte sie und machte eine weitausladende Geste, »habe ich dich angelogen?«
»Du hattest recht«, stimmte er zu, »absolut überwältigend.«
»Ich werde dich morgens hier an deiner Staffelei erwarten.«
»Da muß ich dich enttäuschen. Ich arbeite nur nach vorherigen Skizzen, niemals direkt von der Natur.«
Sie hatte sich ein paar Schritte entfernt und bückte sich, um eine Blume zu pflücken. Jetzt drehte sie sich abrupt um.
»Schwindler.«
Er holte einen kleinen Skizzenblock und einen Stift aus seiner Jackentasche und setzte sich auf den Boden. »Bleib dort wo du bist, aber schau aufs Meer.«
Sie gehorchte ihm sofort. »Na gut, aber wehe, wenn's nicht gut wird.«
»Plapper nicht. Das stört mich«, gebot er ihr.
Die Sonne ließ Fionas strohblondes Haar aufleuchten, ihre Gestalt verschwamm etwas, und in eben diesem einen Augenblick hätte sie ein Gemälde von Renoir sein können. Sie erschien unglaublich jung und unschuldig, und unter dem dünnen Baumwollkleid zeichnete sich ihr fester, junger Körper ab.
Guyon murmelte etwas und steckte seinen Stift wieder ein. »Das war's.«
Fiona kam herüber, ließ sich neben ihm nieder und zog ihm den Block aus der Hand. Augenblicklich erlosch das Lächeln, und ihre Wangen färbten sich. Sie stand da, auf das Meer blickend, unentrinnbar
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