Zorn des Loewen
drehte sich um und erblickte Juliette. Sie hatte sich seine alte Kordjacke übergeworfen und verbarg ihre Hände tief in den Taschen.
»Was ist los, Owen?« fragte sie.
Da überkam es ihn blitzartig in einer einzigen, unerklärlichen Eingebung, daß sie es war, die die Verantwortung für diese Untat trug, und seine Augen weiteten sich. »Warum, Juliette?« rief er. »Warum hast du das getan?«
»Mein Bruder ist in Algerien gefallen, Owen«, ihre Stimme war matt und leblos. »Er starb für Frankreich. Sie haben es ihm zurückgezahlt, indem sie das, wofür er gestorben ist, wieder aufgaben. Ich konnte nicht einfach dastehen und das geschehen lassen.«
Wut flammte in ihm auf wie Feuer, das durch trockenes Laub züngelt. »Was erzählst du mir da für einen verdammten Unsinn, Mädchen? Was hat das mit meinem Boot zu tun?«
Er kletterte zu ihr hinauf, doch sie wich zurück und zückte den Revolver. Morgan blieb stehen und starrte sie sprachlos an. Sein Gesicht war so weiß, daß die Haut fast durchsichtig war, und ein Ausdruck verwirrten Erstaunens lag darauf.
»Ich bin's, Juliette. Owen.« Er trat einen Schritt auf sie zu.
»Geh ganz langsam an mir vorbei, Owen«, flüsterte sie. »Die Hände auf den Rücken. Zwing mich nicht, dich zu töten.«
Er stand wie angewurzelt, die Beine gespreizt und brach in ein wildes Gelächter aus: »Mich töten, Mädchen? Du?«
Im nächsten Augenblick stürzte er auf sie zu, streckte die eine Hand nach dem Revolver aus, während die andere nach der Jakke griff. In diesem Moment blitzte es in ihren Augen auf, und ihm wurde mit furchtbarer Gewißheit klar, daß dies der letzte Fehler seines Lebens war.
Der Knall des Schusses wurde mit ohrenbetäubendem Lärm mehrfach von den engen Wänden des Bootshauses zurückgeworfen. Die Wucht der Kugel, die seinen Körper durchschlug, ließ ihn rückwärts taumeln. Er schwankte auf die Kante der Rampe zu, die Hände krampften sich um seinen Bauch und ein breiter Blutschwall schoß aus seinem Mund. Dann stürzte er rückwärts auf das Boot.
Juliette Vincente trat an den Rand der Rampe und schaute auf ihn hinunter. Er lag da ganz still, seine Augen waren auf einen Punkt gerichtet, der Millionen von Meilen hinter ihr lag. Sie steckte den Revolver in die Tasche zurück, ging hinaus und verschloß die schweren Türen wieder. Als sie sich umdrehte, bog die Foxbunter gerade um die Landzunge in den kleinen Hafen ein.
Hamish Grant saß am Küchentisch, die Reste seines Frühstücks vor sich und lauschte andächtig dem, was Anne ihm zu berichten hatte.
Als sie geendet hatte, schüttelte er unwirsch den Kopf: »Hat keinen Wert, sich vorzumachen, daß die Sache besonders gut aussieht. Aber eines ist sicher: daß wir selbst gar nichts tun können.«
»Dann ist als Guernsey unsere letzte Hoffnung?«
Er nickte und erhob sich. »Ich glaube, es ist besser, wenn wir alle gemeinsam fahren. Es zahlt sich nie aus, sich aufs Glück zu verlassen. Die Lage hier könnte sehr ungesund werden.«
Fiona kam herein und brachte seinen alten Armeemantel. »Den wirst du brauchen können, Vater. Es ist ziemlich kalt.«
Es war das erste Mal seit ihrer Kindheit, daß sie ihn anders als mit ›General‹ anredete, und er freute sich darüber. Seine Hand suchte ihr Gesicht, das er nur verschwommen wahrnahm, und er streichelte ihre Wange.
»Keine Bange, Fiona. Wir werden die Sache schon wieder hinkriegen.«
Sie hielt seine Hand einen Moment lang fest in ihrer, wandte sich dann um und ging in die Diele voran. Anne saß bereits hinter dem Steuer des Wagens, der mit laufendem Motor vor dem Haus wartete. Der General und Jagbir setzten sich in den Fond, Fiona neben Anne auf den Beifahrersitz. Unverzüglich gab Anne Gas und fuhr los.
Es regnete immer noch heftig. Anne stellte die Scheibenwischer an und beugte sich vor, um die Schlaglöcher in der ungeteerten Straße rechtzeitig zu erkennen. Der Wagen näherte sich dem Kamm des Hügels, und sie legte einen langsameren Gang ein, um sich für den steilen Abstieg zum Hafen hinunter bereitzumachen. Sie überwanden die Kuppe. Da stieß Fiona einen Entsetzensschrei aus, und Anne trat entschieden auf die Bremse.
Vor ihnen, mitten auf der Straße, standen de Beaumont, Marcel und drei weitere Männer und blickten aufs Meer hinaus. Etwa vierhundert Meter vor der Küste war die Fleur de Lys zu erkennen, die mit hohem Tempo in südwestlicher Richtung auf das französische
Weitere Kostenlose Bücher