Zorn: Thriller (German Edition)
Söderstedt. »Den Glasbehälter, in dem Viktor Larsson den Biss aus Ivanovas Arm aufbewahrt hat. Danach hat er ihn gewogen. Möglicherweise entspricht die Fleischmasse dem Gewicht von Dedas abgefressenem Arm.«
»Ein Biss fehlt noch«, wandte Kerstin Holm ein. »Und zwar von deinem Arm, Arto. Aber jetzt wissen wir ja, wie gefährlich dieser Mann ist. Die Frage ist nur, wer von uns auf die Insel Nasino in Sibirien fährt. Und vor allem, wann.«
»Hat jemand das Zitat an sich genommen?«, fragte Söderstedt.
Er fing sich zwei vorwurfsvolle Blicke ein. Sara Svenhagen zog eine Plastiktüte aus der Innentasche ihrer Jacke. Darin lag eine kleine Papierrolle. Sie warf einen kritischen Blick auf die Packung mit Latexhandschuhen, die zufällig auf dem kleinen Tisch im Wartezimmer stand. Kerstin Holm nickte ihr zu. Sara streifte sich die Handschuhe über, öffnete die Tüte, zog den Zettel hervor, entrollte ihn und las einen kurzen französischen Text vor.
»Derselbe Computerausdruck?«, fragte Arto Söderstedt.
»Ja«, antwortete Sara Svenhagen. »Scheint so. Verstehst du das Zitat?«
»Ich denke«, antwortete Söderstedt und übersetzte, nachdem er sich geräuspert hatte: »›Ist dies Monte Christo?‹, fragte der Reisende mit ernster und von tiefer Sorge geprägter Stimme. – ›Ja, Eure Exzellenz‹, antwortete der Kapitän. ›Wir sind gleich da.‹ Viktor Larsson weist uns den Weg nach Monte Christo. Doch der einzige Schatz, den es dort auf Nasino zu finden gibt, ist die Wahrheit. Und wir sind auf dem Weg dorthin.«
»Zur Wahrheit?«, fragte Chavez.
»Ja«, antwortete Söderstedt. »Aber auch zu Viktor Larsson. Und diesmal werden wir ihn verdammt noch mal nicht wieder entkommen lassen.«
»Also«, sagte Kerstin Holm mit leicht erhobener Stimme, »Nasino ist unser Monte Christo, ich glaube, diesbezüglich sind wir uns einig, aber wann genau werden wir Larsson dort antreffen?«
»Das dürfte aus den Geschichtsdaten zu ermitteln sein«, antwortete Söderstedt bestimmt. »Die Deportierten kamen am 18. Mai nach Nasino, hast du gesagt, Jorge, nicht wahr?«
»Ja«, antwortete Chavez mit einem Blick auf sein Handy. »Und sie haben die Hölleninsel nicht vor Anfang Juni wieder verlassen. Am 27. Mai kamen zwölfhundert neue Gefangene hinzu, und von den insgesamt etwa sechstausendsiebenhundert Gefangenen auf Nasino überlebten ungefähr zweitausendzweihundert. Zwei Drittel starben also dort.«
»Ich glaube, dass es sich um eine Art Jahrestag handelt«, mutmaßte Söderstedt. »Im Mai waren die Gefangenen auf Nasino. Und jetzt haben wir Mai. Viktor Larsson hat den Mai aus irgendeinem Grund zu seinem Projektmonat gemacht.«
»Es muss mit Deda zusammenhängen«, vermutete Svenhagen. »Entweder ist es das Datum, an dem Deda der Arm abgefressen wurde, oder der Tag, an dem er die Insel verließ.«
»Du hast gesagt, dass am 27. Mai zwölfhundert neue Gefangene auf der Insel ankamen«, wiederholte Söderstedt nachdenklich. »Sie müssen entweder mit Schiffen oder Kähnen gekommen sein. Vielleicht haben sie ja den schwer verletzten Deda wieder mit in die Zivilisation zurückgenommen.«
»Dann wäre morgen der entsprechende Tag«, schloss Kerstin Holm.
Für einen Augenblick herrschte Stille im Wartezimmer des Söderkrankenhauses. Ein Engel eilte durch den Raum.
Ein Todesengel.
»Ich muss auf jeden Fall dorthin«, sagte Arto Söderstedt.
»Aber nicht allein«, entgegnete Kerstin Holm.
»Lass mich wenigstens vorher duschen«, meinte Jorge Chavez.
»Nicht gerade ein gutes Gefühl, dich nach Sibirien zu schicken«, sagte Sara Svenhagen. »Keinen von euch. Wenn es Viktor Larsson gelungen ist, auf Långholmen alles akribisch genau zu arrangieren, was mag er sich dann auf Nasino ausgedacht haben? Es ist eine einsame Insel, auf der er, so lange er wollte, ungestört seine Vorbereitungen treffen konnte. Hier geht es schließlich um das Finale eines jahrelang eiskalt durchgeführten Plans. Er kann die ganze Insel beispielsweise mit Minen zugepflastert haben.«
»Wir müssen ihn uns schnappen«, entgegnete Arto Söderstedt schlicht.
Zum ersten Mal seit geraumer Zeit hörte die Gruppe nun Geräusche vom Flur her. Schlurfende Schritte, die sich auf dem Korridor näherten. Schließlich betrat die Ärztin das Wartezimmer. Sie trug immer noch ihre grünen Chirurgenpantoffeln, die mit einer beeindruckenden Anzahl roter Flecken besprenkelt waren. Die Frau sah aus, als wäre sie in einem Albtraum einen Marathon gelaufen.
»Nicht
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