Zorn: Thriller (German Edition)
schließlich Lehrer, lernte seine spätere Ehefrau Bronislawa kennen, die ebenfalls Lehrerin war, und bekam eine Tochter, Yekaterina, deren Leben leider tragisch endete.«
Kowalewski nickte und erklärte: »Wenn es darum geht, diesen Rachefeldzug an einem Jahrestag abzuschließen, muss es sich um den 27. Mai handeln. Der ist morgen.«
»Gut, dass sie bereits unterwegs sind«, entgegnete Laima Balodis. »Ich hatte letztes Jahr den Einsatz in der Kanalbank in Berlin mit Chavez zusammen. Das lief ziemlich gut.«
»Aber Söderstedt ist nicht nur alt und steif«, merkte Kowalewski an, »er hat sich zudem noch die rechte Hand gebrochen.«
»Sara ist ja auch noch dabei«, warf eine Stimme von der Seite her ein.
Sie drehten sich um und sahen, wie Corine Bouhaddi ein Buch zuschlug.
»Sollen die Schweden ihren Serienmörder doch alleine festnehmen«, sagte Kowalewski. »Macht doch Sinn. Was liest du denn da?«
»Ein Buch von dem französischen Historiker Nicolas Werth«, antwortete Bouhaddi und hielt es hoch. »Ist vor ein paar Jahren herausgekommen: Die Insel der Kannibalen: Stalins vergessener Gulag . Es beschreibt die Vorfälle auf der Kannibaleninsel Nasino im Jahr 1933. Falls man irgendwann einmal auch nur ansatzweise an eine der Sowjetunion ähnliche Gesellschaftsform geglaubt hat, so distanziert man sich nach der Lektüre rasch von diesem Glauben, versprochen.«
»Svenhagen ist also auch mitgefahren?«, fragte Balodis.
»Drei Schweden in Sibirien«, sagte Kowalewski. »Klingt wie ein Romantitel.«
»Wenn ich es richtig verstanden habe«, meinte Bouhaddi, »fliegen sie nach Nowosibirsk und mieten sich dort einen Wagen oder einen Hubschrauber.«
»Dieses Gebiet ist immer noch eine absolut trostlose Einöde«, merkte Balodis an. »Ein Hubschrauber wäre also von Vorteil. Andererseits signalisiert man damit deutlich seine Ankunft.«
Sie schwiegen eine Weile. Bouhaddi strich sich über den Nacken und verzog das Gesicht. »Habt ihr nicht auch das Gefühl, dass da irgendetwas nicht stimmt?«, fragte sie schließlich.
Kowalewski und Balodis tauschten einen Blick aus.
»Doch«, antwortete Balodis schließlich. »Aber ich habe keine Ahnung, was.«
»Sag es trotzdem, Laima«, forderte Bouhaddi sie auf. »Was dir gerade in den Sinn kommt.«
»Roman Vacek«, erklärte Balodis.
Bouhaddi nickte leicht und fragte: »Und du, Marek?«
Kowalewski verzog vor Abscheu und Widerwillen das Gesicht.
»Ich will, dass der Fall endlich abgeschlossen wird«, antwortete er. »Ich will, dass unsere schwedischen Freunde endlich ihren Serienmörder festnehmen und dass Viktor Larsson redet. Ich will die Fäden entwirren und dem Ganzen ein Ende setzen.«
»Aber ...?«, fragte Bouhaddi schonungslos.
»Aber das Schicksal von Roman Vacek nagt irgendwie auch an mir«, meinte Kowalewski. »Er ist in den Siebzigerjahren in der kommunistischen Tschechoslowakei ein führender Forscher auf dem Gebiet der Genetik. Er flüchtet über England in die USA, weil er sich dort bessere Forschungsbedingungen erhofft. Dann ist er zwanzig Jahre lang an der Johns Hopkins University tätig, wird in gewisser Weise Amerikaner und kehrt dann plötzlich in das neue Tschechien zurück, wo er zum Politiker in der kommunistischen Partei avanciert, vor der er einst geflohen ist. Meines Erachtens riecht das meilenweit nach Spionage. Nach Doppelagent.«
»Das ist mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen«, rief Balodis aus. »Ich habe eher an die Spritze gedacht.«
»Die Pferdespritze in der Schulter?«, fragte Bouhaddi. »Auf Capraia?«
»Auf Långholmen kam nichts dergleichen zum Einsatz. Und auch bei keinem anderen Mord in den neun Jahren. Nur ein paar Tage nach Capraia, auf Goli otok, dort jedoch ohne ›Multigift‹. Ein Einstich mit einer leeren Spritze. Wie eine dubiose Mitteilung.«
»Andererseits ist vor Långholmen auch keine mysteriöse ›temporär paralysierende Substanz‹ verwendet worden«, wandte Kowalewski ein. »Und dabei war Vacek das eindeutig kräftigste Opfer Viktor Larssons. Er wog weit über hundert Kilo und war fast zwei Meter groß. Larsson hatte möglicherweise den Eindruck, dass er den Einsatz des Messers mit einer sichereren Methode ergänzen musste.«
»Und was macht dir zu schaffen, Corine?«, fragte Kowalewski.
»Capraia«, antwortete Bouhaddi, ohne zu zögern. »Die ganze Geschichte auf Capraia. Alles, was dort geschehen ist, kommt mir eigenartig vor. Ja, das macht mir zu schaffen.«
»Ich verstehe, was ihr meint«,
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