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Zorn: Thriller (German Edition)

Zorn: Thriller (German Edition)

Titel: Zorn: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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sauber durch, sorgt dafür, dass keine russischen Zivilisten involviert werden, und vermeidet um jeden Preis jegliche Medienpräsenz. Es war nicht einfach, aber Erfolg versprechend.
    Paul Hjelm ließ seinen Blick über die offene Bürolandschaft schweifen. Felipe Navarro und Angelos Sifakis waren vollauf mit ihrer Lieblingstätigkeit beschäftigt, nämlich die Elemente auf dem elektronischen Whiteboard zu ordnen. Unter einem alten Foto von Viktor Larsson hingen die Fotos der zehn Opfer, neun Tote und Marina Ivanova. Von jedem Opfer verliefen diverse Pfeile in unterschiedliche Richtungen. Ganz unten auf dem großen Plasmabildschirm hingen Fotos des Professors für plastische Chirurgie, Udo Massicotte, des albanischen Waffenhändlers Isli Vrapi, des Dreifachmörders Johnny Råglind und des Kleinkriminellen Taisir Karir.
    Dennoch gelang es den beiden Polizisten nicht, einen stimmigen Gesamteindruck herzustellen.
    Hjelms Blick wanderte weiter zu Marek Kowalewski und Laima Balodis. Sie lasen russische Texte. Russisch war zwar ihre Zweitsprache, aber dennoch kamen sie ungewöhnlich langsam voran. Das lag nicht nur an ihrer mangelnden Praxis, sondern hatte auch mit einer gewissen Abneigung der beiden zu tun. Die russische Sprache war für sie in ihrer Kindheit in Warschau beziehungsweise Vilnius unmittelbar mit der Sowjetunion verknüpft gewesen, und somit auch mit der Unterdrückung.
    Während der Zeit von Glasnost in der Sowjetunion hatte die Menschenrechtsorganisation Memorial Zugang zu dem Material der sogenannten Nasino-Affäre vom Mai 1933 erhalten. Dieses Material lag inzwischen auch der Opcop-Gruppe vor. Außerdem hatte ihnen die russische Polizei Dateien der Meldebehörden aus dem vergangenen Jahrhundert geschickt. Jetzt begann sich ein Bild abzuzeichnen, wenn auch nur langsam.
    »Also«, meinte Kowalewski und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. »Nun müsste die Chronologie eigentlich stimmen, oder?«
    »So einigermaßen«, bestätigte Balodis. »Viktor Lebedev, geboren im Juni 1978 in Moskau. Kein Vater angegeben, die Mutter Yekaterina Lebedeva beging im Januar 1983 Selbstmord, als Viktor vier Jahre alt war. Er wuchs bei seiner Großmutter und seinem Großvater auf, den Eheleuten Bronislawa und Nikolai Lebedev, die Großmutter starb im Mai 1991 und der Großvater, Nikolai Lebedev, starb zwischen Weihnachten und Silvester 1991, kurz nachdem Gorbatschow seinen Rücktritt und somit den Zerfall der Sowjetunion verkündet hatte.«
    Kowalewski sah Balodis an und fuhr fort: »Nikolai Lebedev wurde im Februar 1923 geboren. Er war also zehn Jahre alt, als er am 29. April 1933 auf den Straßen Moskaus aufgegriffen wurde, weil er keinen Inlandspass besaß. Genau wie sein Enkel war der junge Nikolai vaterlos. Er verlor seine Mutter früh – sie hatte sich offenbar ebenfalls das Leben genommen – und wuchs bei seiner Großmutter auf. In diesem Fall existierte allerdings kein Großvater, sodass die Parallele etwas hinkt. Aber wahrscheinlich stand Viktor seinem Großvater deshalb besonders nahe.«
    »Dann kommen wir jetzt auf das Material der Memorial-Organisation zu sprechen«, sagte Balodis. »Nikolai Lebedev gehörte in der Tat der Gruppe an, die am 30. April von Moskau aus deportiert wurde und am 10. Mai mit dem Zug im sibirischen Tomsk ankam. Am 14. wurde er zusammen mit fünftausend anderen ›sozial schädlichen und deklassierten Elementen‹ in einen von mehreren Kähnen verfrachtet, die sie den Ob hinauftransportieren sollten. Die Gefangenen erreichten die kleine Insel Nasino am 18. Mai. Bereits am 21. wurde Nikolai Opfer eines kannibalistischen Angriffs. Die Täter hatten ihm bereits den rechten Arm abgefressen, als ein Offizier während einer Inspektionsrunde die Attacke gemeinsam mit einer Reihe von Aufsehern beendete. Die Täter wurden erschossen, und Nikolai wurde in die Zelte der Krankenstation gebracht. Er wurde operiert; das, was von seinem Arm noch übrig geblieben war – letztlich nur die Knochen –, wurde amputiert, woraufhin er eine Woche lang zwischen Leben und Tod schwebte. Zu diesem Zeitpunkt kehrten die Kähne mit einer neuen Ladung Deportierter zurück, die ebenfalls auf der bizarren Kannibaleninsel abgesetzt wurden, obwohl man wusste, was mit ihnen geschehen würde. Die Boote nahmen den zehn Jahre alten Nikolai Lebedev, dessen Zustand sich inzwischen etwas stabilisiert hatte, mit nach Tomsk. Von dort wurde er wieder nach Hause zu seiner Großmutter in Moskau gebracht. Er wurde

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