Zorn: Thriller (German Edition)
derart gestört worden zu sein, dass er es sich nicht verkneifen konnte, darüber zu reden, wie versiegelt seine Lippen auch hätten sein sollen. Und Andrew Hamilton III. wurde am 18. Januar 2006 in seinem Haus in einem luxuriösen Vorort von Baltimore, in Howard County, ermordet. Ich sitze gerade im Hotelzimmer und habe die polizeilichen Ermittlungen vor mir.«
»Das ist ja ’n Ding!«, rief Hjelm aus. »Und wie starb er?«
»Er wurde offenbar auf grauenvolle Weise massakriert«, antwortete Navarro. »Ich habe Fotos hier, die man sich nicht allein in einem dunklen Hotelzimmer in einer fremden, bedrohlich wirkenden Stadt anschauen sollte.«
»Und wie bist du an die Ermittlungsunterlagen gekommen?«
»Über einen bereitwilligen Polizisten aus Baltimore, der weder Jimmy McNulty noch Frank Pembleton hieß.«
»Bereitwillig?«
»In meiner Reisekostenabrechnung werde ich die Auslagen dafür unter ›außerordentliche Kosten‹ auflisten«, erklärte Navarro.
»Du bist ja draußen auf dem Schlachtfeld richtig klasse, Felipe«, meinte Hjelm.
»Oh verdammt«, rief Navarro aus.
»Wie bitte?«, fragte Hjelm.
»Äh, tut mir leid. Apropos draußen auf dem Schlachtfeld. Anstatt einen Versuch zu unternehmen, die Fotos zu beschreiben, zitiere ich aus dem Ermittlungsprotokoll: ›Die unverhältnismäßig starke Gewaltanwendung deutet eher auf persönliche Beweggründe als auf reinen Sadismus hin. Hier geht es um die Vernichtung des Opfers in einer Form, die es nahelegt, die Ermittlungen auf Personen zu konzentrieren, die dem Toten nahestanden.‹«
»Und wie verliefen diese Ermittlungen?«
»Man hat eine große Anzahl Verdächtiger zur Vernehmung einbestellt – von einem norwegischen Au-pair bis hin zum Poolbediensteten –, doch nach ein paar Monaten wurde der Fall zu den Akten gelegt. Keinem der Verdächtigen konnte etwas nachgewiesen werden. Der Fall ist immer noch ungeklärt. Und ich glaube bereits zu wissen, wie die nächste Frage des Chefs lauten wird.«
»Hat man denn eine eindeutige Todesursache festgestellt?«
»Ich dachte eher an etwas in der Richtung: ›Wurde eine toxikologische Untersuchung durchgeführt?‹«
»Ist das nicht dieselbe Frage?«
»In gewisser Weise schon. Nein, in die hat man nicht investiert. Als Todesursache wurde ›starke Gewalteinwirkung auf den Kopf‹ festgehalten.«
»Im Januar 2006 also«, wiederholte Hjelm. »Viereinhalb Jahre später traf es Vacek. Derselbe Täter?«
»Und wenn ja: Ist in diesen viereinhalb Jahren noch mehr passiert?«
»Also ein weiterer Serienmörder? Hat Jutta recht?«
»Es gibt keinerlei Beweise«, antwortete Navarro. »Aber man fragt sich natürlich, ob zu diesem Team, das daran arbeitete, ›die perfekte Leitfigur‹ zu erschaffen, auch ein Arzt für plastische Chirurgie gehörte.«
»Der Gedanke ist mir ebenfalls gekommen«, sagte Paul Hjelm. »Zeit, nach einer Verbindung zwischen Vacek, Hamilton und Massicotte zu suchen. Dem Genforscher, dem Neurologen und dem Arzt für plastische Chirurgie.«
»Ich weiß, dass ich möglicherweise etwas vorgreife«, erklärte Navarro, »aber könnte es sein, dass jemand versucht, dieses Team auszulöschen?«
»Wir warten lieber noch mit Schlussfolgerungen, bis wir die Bestätigung dafür haben, dass überhaupt ein Zusammenhang besteht«, antwortete Hjelm. »Aber da ich aus völlig anderen Gründen morgen früh eine Zusammenkunft mit einem Sprecher der NATO habe, bekommen wir vielleicht bald eine Antwort auf diese Frage. Wie auch immer, du hast jedenfalls einen außerordentlichen Job in den USA gemacht, Felipe.«
»Ziemlich unerwartet, oder?«
»Ganz und gar nicht. Allerdings scheinen auch dahinter persönliche Beweggründe zu stehen, ähnlich wie bei der Ermordung von Andrew Hamilton III. ... Auch wenn ich in deinem Fall keine Ahnung habe, welche.«
In der Leitung war es eine Weile still. Dann fragte Felipe Navarro: »Hat der Chef vielleicht schon mal darüber nachgedacht, Detektiv zu werden?«
»Hm«, entgegnete Hjelm. »Solange sich persönliche Beweggründe nicht nachteilig auf die Ermittlungen auswirken, sind sie nur von Vorteil. Auch wenn sie oftmals eher einer Laune entspringen. Also, halt sie gut in Schach.«
»Ja«, antwortete Navarro. »Aber eines noch.«
»Ja?«
»Glaubt der Chef, dass es möglich wäre, Professor Blandford aus den Ermittlungen herauszuhalten?«
»Weshalb?«
»Weil ich ihn mochte«, antwortete Felipe Navarro.
»Ich werde mein Möglichstes tun«, entgegnete Hjelm und legte
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