Zorn: Thriller (German Edition)
19. Jahrhundert mit seiner historischen Kuppel, das das Johns-Hopkins-Krankenhaus und die Johns Hopkins School of Medicine beherbergt. Ein mustergültig gepflegter Komplex, mitten in der Stadt gelegen und seit mindestens zwei Jahrzehnten jedes Jahr zum besten Krankenhaus der USA ernannt. Die Aussicht von Professor emeritus Blair Blandfords Büro über den Patterson Park war ebenfalls gewaltig.
»Ja, Roman Vacek«, erinnerte sich der alte Mann mit dem grauen Bart und der altertümlichen Golfkleidung. »Eine besondere Begabung. Tot, sagen Sie, Kommissar Navarro?«
»Ermordet, leider«, antwortete Navarro. »Unter sehr mysteriösen Umständen.«
Blair Blandford lächelte kurz und bekümmert und meinte dann: »An unserem hochverehrten Tschechen war wohl alles etwas mysteriös.«
»Als ich mir Roman Vaceks Arbeitszeiten hier an der Johns Hopkins näher angesehen habe, fiel mir auf, dass er oftmals über längere Phasen freigestellt gewesen war.«
»Aber er kam immer wieder zurück«, entgegnete Blandford mit demselben flüchtigen Lächeln. »Die Grundlagenforschung war nämlich seine Leidenschaft. Die elementaren Dinge des Lebens zu begreifen. Sie müssen wissen, Herr Kommissar, wie drastisch sich die genetische Forschung in den betreffenden Jahren weiterentwickelt hat. Wir beginnen jetzt erst, uns dem Kern des Lebens zu nähern.«
»Irgendwann hat er alles hinter sich gelassen und wurde kommunistischer EU-Politiker. Hat Sie das erstaunt?«
»Nein, eigentlich nicht besonders«, antwortete Blandford. Sein Blick schweifte in die Ferne.
»Nicht?«
»Sorry«, sagte der alte Arzt. »Ich weiß nicht, ob ich mit einem europäischen Polizisten darüber sprechen darf. Ich bin mir über Ihre wie über meine Befugnisse nicht ganz im Klaren.«
»Aber wir sprechen hier doch über einen Forscher? Und nicht über Staatsgeheimnisse, oder?«
Blair Blandford ließ erneut seinen Blick weit in die Ferne schweifen. Dann antwortete er: »Wenn Roman Vacek bei der Grundlagenforschung geblieben wäre, hätte er inzwischen den Nobelpreis verliehen bekommen. Und wäre vermutlich noch am Leben.«
»Aber das hat er nicht getan?«
Der alte Professor schüttelte lange und ausdauernd den Kopf.
»Damals waren die Zeiten noch andere, mein junger spanischer Freund«, erklärte er mit finsterer Miene. »Die Welt war extrem politisiert. Wir lebten immerhin im Schatten des Kalten Krieges und der Bedrohung durch Atomwaffen.«
»Und Roman Vacek befasste sich also in den Zeiten, in denen er freigestellt war, mit diesem ›Politisieren‹?«
Blandford seufzte. »Es war 1975«, begann er. »Roman Vacek kam mit aufsehenerregenden Informationen über den Stand der genetischen Spitzenforschung im Osten von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs. Und jetzt scheint sich wieder alles um Politik zu drehen ...«
»Wir wollen lediglich denjenigen festnehmen, der Roman Vacek ermordet hat«, entgegnete Navarro und beugte sich über Blandfords riesigen Schreibtisch vor. »Geht es in dem Fall möglicherweise um Genetik?«
»Wir waren natürlich viele, denen der Gedanke verlockend vorkam«, erklärte der Professor mit einem ätherischen Lächeln der Erinnerung auf den Lippen.
»Welcher Gedanke?«, fragte Navarro.
»Ich will Ihnen hier nicht die Geschichte der Genetik referieren, Kommissar Navarro, aber seit der genetische Code 1966 von Nirenberg und Matthaei geknackt wurde, haben wir davon geträumt, den perfekten Menschen zu erschaffen. Und als es dann zu Beginn der Siebzigerjahre gelang, zum ersten Mal eine DNA-Kette zu rekonstruieren, öffnete sich für uns eine Tür. Und 1975 kam Vacek von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs und bekam einen Lehrstuhl. Klar, dass man sein Wissen für andere Dinge als die Grundlagenforschung nutzen wollte.«
»Die da wären?«
»Mein junger Freund«, antwortete Blair Blandford mit der ganzen Autorität seiner Position, »ich habe mein gesamtes Berufsleben der wahren, unpolitischen Grundlagenforschung im Fachbereich Genetik gewidmet. Grundlagenforschung, der Kern des Ganzen, die Sinnfrage, ohne Einmischung von Ökonomen, Militärs, Pragmatikern oder Opportunisten. Und ich habe meinen Entschluss nicht einen Augenblick bereut. Nicht einmal dann, als ich sah, welche Villen sich die anderen in Howard County zulegen konnten, habe ich es bereut. Aber manchmal war ich gezwungen, Roman und Andrew an andere Institutionen auszuleihen, aber mehr nicht. Ich bin überzeugt davon, dass Roman nun den Preis dafür bezahlen musste,
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