Zorn: Thriller (German Edition)
nicht den Eindruck, dass sie über den Fall sprachen. Es schien eher, als würden sie sich darüber unterhalten, was sie an diesem Samstag lieber täten. Nämlich shoppen.
»Eigentlich müssten mehr Leute hier sein«, sagte er.
»Du hast ja alle außer uns weggeschickt«, entgegnete Hershey.
»Ich weiß, aber wir müssten dennoch mehr sein, denn inzwischen wartet eine Menge Arbeit auf uns. Also werdet ihr beide jetzt an der Front stehen. Seid ihr bereit dazu?«
»Natürlich«, antwortete Balodis und richtete sich auf.
»Zuallererst, habt ihr etwas Neues über Vacek in Erfahrung bringen können?«
»Ich habe alle meine MI5-Kontakte angezapft«, antwortete Hershey ohne Umschweife. »Aber keinem sagt der Name Vacek etwas.«
»Was wohl daran liegt, dass er nicht für den MI5 gearbeitet hat, sondern für die NATO«, erklärte Hjelm. »Hört mir gut zu. Folgendes hat sich herausgestellt: Der Genforscher Roman Vacek gehörte zusammen mit einem Neurologen namens Andrew Hamilton III. einer streng geheimen NATO-Sektion an. Hamilton wurde im Januar 2006 ermordet. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass auch Udo Massicotte dieser Sektion angehörte. Der Auftrag bestand darin, im Schatten des Kalten Krieges ›die perfekte Leitfigur‹ im Labor zu erschaffen. Und ich habe eine vage Vermutung, dass man beispielsweise führende Militärbefehlshaber für die NATO erschaffen wollte. Offenbar begann die Tätigkeit der Sektion 1977, denn im Februar des betreffenden Jahres ließen sich Vacek und Hamilton zum ersten Mal von ihrer eigentlichen Arbeit an der Johns Hopkins University freistellen. Das Projekt lief bis zum Beginn der Neunzigerjahre. Um was für eine NATO-Sektion handelte es sich? Welche Personen waren involviert? Gibt es noch mehr Forscher auf den Gebieten der Genetik, der Hirnforschung oder der plastischen Chirurgie, die, sagen wir, in den vergangenen zehn Jahren ermordet wurden?«
Hershey und Balodis starrten ihn an. Mit großen Augen.
»Verdammt auch«, rief Hershey schließlich aus.
»Jetzt seid ihr dran, meine Damen. Ende der Diskussion über verpasste Shoppingmöglichkeiten.«
»Ist nicht heute der Tag, an dem der Chef mit der NATO sprechen wollte?«
»Ja.«
»Jetzt wissen sie also, dass wir es wissen?«
»Sie wussten bereits, dass wir uns mit Vacek befassen – sie haben ohne Umschweife zugegeben, dass er NATO-Spion war –, aber jetzt wissen sie noch etwas mehr. Ich bin mir nicht sicher, ob das gut oder schlecht ist. Werden sie jetzt versuchen, die weiteren Details geheim zu halten? Ich denke mal, dass es richtig war, ihnen mitzuteilen, wo wir stehen, nicht zuletzt, weil ich auf diese Weise einen Hinweis erhalten habe. Ich denke auch, dass sich diese Ehrlichkeit langfristig auszahlt. Vielleicht können wir die NATO sogar dazu bewegen, mit uns zusammenzuarbeiten.«
»Vermutlich war es richtig, den Würfelbecher mal ein wenig zu schütteln«, pflichtete Hershey ihm bei.
Hjelm machte eine Kopfbewegung, die Zweifel andeutete, und sagte dann: »Ich möchte, dass ihr euch bei euren Ermittlungen außerdem darauf konzentriert, ob es eine Verbindung zu dem Waffenhändler Isli Vrapi gibt, der in Stockholm ermordet wurde. Denn mir scheint, dass sich die Angelegenheit, da die NATO in den Fall involviert ist, ein wenig ausgeweitet hat. Militärallianzen, Waffenhändler. Könnte sein, dass sich etwas findet.«
Hershey und Balodis nickten mit nachdenklich gerunzelter Stirn im Takt.
Hjelm fuhr fort: »Im Intranet findet ihr einen kurzen Abriss dessen, was ich gerade berichtet habe. Arbeitet davon ausgehend weiter. Eigentlich sind es zwei Gebiete, sodass sich jede von euch eines vornehmen kann. Zum einen die NATO und die Sektion an sich, zum anderen die Mitglieder, wer dabei war und ob noch weitere gestorben sind. Ich will so bald wie möglich Ergebnisse sehen. Also legt los.«
Nach dem Gespräch kehrte Paul Hjelm in sein Büro zurück und verschwendete einige Minuten darauf, die synchronisierten Handlungsmuster der Zwillinge im Geiste durch das Fenster zu beobachten.
Als er wieder in der Realität angelangt war, schickte er eine SMS an den Rest der Gruppe. Sie lautete schlicht und einfach: »Kommt so bald wie möglich zurück. Neue Spuren.« Es blieb abzuwarten, wer der Schnellste von ihnen war. Anschließend wählte er eine Telefonnummer.
»Ja, Kerstin Holm?«, meldete sich die Stimme am Apparat, und das kleine Fragezeichen hinter ihrem Namen sorgte dafür, dass Hjelm richtig warm ums Herz wurde.
»Du siehst
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