Zorn - Tod und Regen
diese Frau jemals in ihrem Leben gelacht hatte. Das allerdings konnte ihn nicht davon abhalten, weiterhin den Strahlemann zu spielen.
»Sie hatten gestern tagsüber Dienst?«
»Das habe ich Ihnen am Telefon gesagt, ja.«
»Dann wäre es nett, wenn Sie mir die Entlassungspapiere des Kindes zeigen könnten.«
»Bin ich dazu verpflichtet?«
»Nein, Schwester. In diesem Falle allerdings wäre ich gezwungen, mit einem richterlichen Beschluss wiederzukommen und Sie zur Vernehmung aufs Präsidium vorzuladen«, log Schröder und strahlte über das ganze Gesicht.
Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen und dachte nach.
»Wie, sagten Sie, war der Name des Kindes?«
»Mahler. Ella Mahler.«
»Warten Sie einen Moment.«
Sie verschwand im Schwesternzimmer. Schröder hörte, wie sie mit einigen Papieren raschelte. Irgendwo begann ein Kind, leise zu weinen.
»Hier.« Sie reichte ihm eine Krankenakte. »Das Original bleibt aber hier. Von mir aus können Sie sich eine Kopie machen.«
Schröder antwortete nicht und blätterte die Akte rasch nach hinten durch. »Wer hat ihre Entlassung befürwortet?«, fragte er, ohne aufzusehen.
»Doktor Prakash, ihr behandelnder Arzt.«
»Sie haben gesehen, wer das Mädchen abgeholt hat?«
»Natürlich, ich bin ja nicht blind.«
»Hier steht, es war ihr Vater, Henning Mahler.«
»Wenn es da steht, wird es wohl stimmen.«
Er zeigte ihr die Akte. »Ist das seine Unterschrift?«
»Sicher.«
Das Weinen wurde lauter. Sie warf einen genervten Blick über die Schulter. »Ich muss mich jetzt um meine Arbeit kümmern.«
Schröder dachte an den verängstigten kleinen Patienten, der da hinten irgendwo allein in seinem Bett lag und anstatt tröstender Worte wohl eher eine saftige Standpauke zu erwarten hatte.
Die Schwester machte Anstalten zu gehen. »War’s das jetzt?«
»Moment noch.« Er griff in die Brusttasche und reichte ihr ein Foto von Henning Mahler. »Das ist ihr Vater. War es dieser Mann?«
Sie musterte das Bild genau. Schröder registrierte, wie sich auf ihrem breiten Gesicht so etwas wie Verwunderung zeigte. Ein blasser, grünlicher Hauch, der sofort in einen Ausdruck der Verblüffung überging, um einige Sekunden später einer tiefen Bestürzung zu weichen. Sie ließ das Foto sinken und griff sich an den überdimensionierten Busen, genauer gesagt an die Stelle, an der Schröder ihr Herz vermutete.
»Ach!«
Das Kind schrie jetzt wie am Spieß. Sie achtete nicht darauf, sondern starrte Schröder mit offenem Mund an. Dann gab sie ihm das Foto zurück.
»Ich weiß es nicht.«
Schröder nickte langsam. »Tja, jetzt müssen Sie mich doch aufs Präsidium begleiten, Schwester. Ich glaube, Sie werden erklären müssen, wie Sie ein zehnjähriges Kind einem wildfremden Menschen überlassen konnten.«
»Ich habe nicht ahnen können, dass –«
»Egal.« Schröder war jetzt alles andere als freundlich, seine Stimme hatte einen selten scharfen Unterton bekommen. »Holen Sie Ihren Mantel. Wir brauchen ein Phantombild.«
*
Nach einer guten halben Stunde hatte Zorn tatsächlich eine ganze Menge erzählt. Zunächst wunderte er sich selbst, was er Malina alles preisgab, schließlich kannte er sie kaum. Trotzdem redete er in diesen Minuten so viel wie sonst in einer ganzen Woche nicht. Er vermied es, über seine Arbeit zu sprechen, die Zweifel am Sinn seines Tuns allerdings verschwieg er ihr ebenso wenig wie ein paar seiner verkorksten Frauengeschichten. Es fühlte sich ungewohnt an, befremdlich, schließlich erwähnte er Dinge, über die er sonst nicht einmal nachdachte. Lag es am Alkohol? Wahrscheinlich nicht, schließlich hatte er kaum etwas getrunken.
Egal, es tat ihm gut.
Sie
tat ihm gut. Etwas, das ihn noch mehr verwunderte.
Malina hatte sich auf dem Sofa ausgestreckt und schweigend zugehört. Sie stützte den Kopf auf den Arm und fragte: »Was ist aus den ganzen Frauen geworden?«
»Was soll mit denen sein?«
»Gibt es im Moment eine?«
Er trank einen Schluck Wein. »Aber ja, meine neue Vorgesetzte. Eine blutjunge Staatsanwältin, sie sieht umwerfend aus. Leider ist sie total zickig. So schnell werde ich sie nicht ins Bett kriegen. Aber ich arbeite dran.«
Malina lachte auf. »Du bist ein Spinner.« Plötzlich dachte er an Hannah, ihr Lachen hatte er ebenfalls gemocht. Schnell schob er den Gedanken beiseite und wurde ernst. »Nein, im Moment gibt es niemanden. Und glaub mir, ich hab schon viele Beziehungen beendet. Es ist einfach.«
»Wirklich?«
»O ja. Irgendwann
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