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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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daran. Mahler schien sich hier schon vor einer Weile häuslich niedergelassen zu haben.
    »Da haben wir dich also überall gesucht, und du hast hier unten Pfadfinder gespielt.«
    »Ja, es ist ein gutes Versteck. Wahrscheinlich ist seit Jahrzehnten niemand hier unten gewesen.« Mahler blickte in die Dunkelheit. »Dieser Tunnel geht nur ein paar Meter weit, dahinten ist er eingestürzt.« Er kramte aus seinem Rucksack eine dünne Wolldecke hervor und warf sie Zorn in den Schoß. »Hier, trockne dir die Haare ab, ich hab kein Handtuch.« Dann zündete er eine der Kerzen an, setzte sich mit dem Rücken zur Wand und zog die langen Beine an. Er schlug mit der flachen Hand auf den Boden. »Komm her.«
    Zorn nahm schweigend Platz. Sie saßen sich dicht gegenüber, so dicht, dass sich ihre Knie fast berührten. Einen Moment sahen sie sich in die Augen, dann senkte Mahler den Blick.
    »Ich bin froh, dass du mich gefunden hast.«
    »Du hast es mir leicht gemacht. Und vergiss nicht: Ich bin Bulle. Es ist mein Job, Leute zu finden. Vor allem, wenn es sich um durchgeknallte Killer handelt, wie du einer bist.«
    »Du weißt, dass ich das nicht bin.«
    »Weiß ich das?«
    Mahler hielt die Waffe in der Linken, sie baumelte zwischen seinen Beinen, nur wenige Zentimeter von Zorn entfernt.
    »Ich werde dir eine Geschichte erzählen, Claudius. Es ist keine schöne Geschichte, und sie ist auch nicht sonderlich unterhaltsam. Aber vielleicht verstehst du mich dann. Das alles ist jetzt fast zwanzig Jahre her.«
    Zorn sagte nichts.
    Und Henning Mahler begann zu erzählen.

Dreiundzwanzig
    Sie waren zu dritt. Zwei Bundeswehrsoldaten und ein Einheimischer, der ihnen als Ortskundiger zugeteilt worden war. Einer von ihnen schlief etwas abseits zusammengerollt in einem Schlafsack, die anderen beiden saßen an einem Lagerfeuer und tranken.
    Sie hatten ihr Lager am Rande eines kleinen Olivenhains aufgeschlagen. Hinter ihnen schlängelte sich die schmale, holprige Straße hinauf in die kroatischen Berge. Das Licht des Feuers spiegelte sich im verdreckten Heck eines grauen Armeejeeps, der schräg in der Böschung geparkt war.
    Die Nacht war heiß und klar, der Mond stand hell am Himmel, größer, als er jemals in Deutschland zu sehen war. Von Süden her wehte ein leichter Wind, der Geruch der nahen Adria zog über sie hinweg und mischte sich mit dem würzigen Duft der Zypressen.
    »Scheißkarre«, knurrte der eine, der Mahler hieß, und spuckte ins Feuer. Er war höchstens zwanzig, unter den Achseln seines Uniformhemdes hatten sich große Schweißflecken gebildet. Sein glattes Gesicht war vom Sonnenbrand gerötet.
    Sie gehörten zu einem Trupp Kampfmittelbeseitiger und waren von der Bundeswehr entsandt worden, um in einem nahen kroatischen Dorf eine Fliegerbombe zu entschärfen. Am frühen Abend war der Keilriemen ihres Jeeps gerissen. Mahler, der Fahrer, hatte zwei Stunden gebraucht, bis er ihn repariert hatte. Der Konvoi war weitergefahren, sie allerdings hatten beschlossen, hier zu übernachten und am nächsten Morgen zeitig aufzubrechen.
    Der, der ihnen als Führer zugeteilt worden war, stieß ein trockenes Lachen aus.
    »Ihr Deutschen baut die besten Autos der Welt. Aber wenn sie einmal kaputt sind, kriegt man sie nicht wieder repariert.« Er trug einen gefleckten Tarnanzug der jugoslawischen Armee, die Jacke spannte über seiner kräftigen Brust. Die Ärmel hatte er hochgekrempelt, um den gebräunten, sehnigen Hals hing eine dünne Goldkette. Obwohl er nicht älter als vierzig sein konnte, war sein kurzes Haar vollständig ergraut. In der Hand hielt er eine zur Hälfte geleerte Schnapsflasche.
    »Trink, Soldat.«
    »Ich hab genug«, wehrte der, der Mahler hieß, mit schwerer Zunge ab. »Bin völlig besoffen.«
    Neben ihnen lag eine weitere Flasche im vertrockneten Gras. Sie war leer.
    Der andere ließ nicht locker. »Ihr Deutschen mögt zwar die besten Autos bauen, aber wir machen den besten Schnaps. Trink, Soldat. Oder willst du mich beleidigen?«
    Irgendetwas schwang in seiner Stimme mit. Es war schwer zu definieren, aber es war etwas, dem man sich nur schwer widersetzen konnte.
    »Nein, nein«. Schwankend beugte sich der junge Soldat vor und ergriff die Flasche. Der Rauch des Lagerfeuers drang ihm in die Augen, er wedelte mit der Hand vor dem Gesicht und fragte: »Worauf trinken wir? Auf den Frieden?«
    Der Mann im Tarnanzug legte den Kopf in den Nacken und stieß ein schallendes Gelächter aus. Seine Zähne blitzten im Mondlicht. Der, der

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