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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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hinter ihnen im Schlafsack lag, drehte sich um, brummte etwas Unverständliches und vergrub sich dann tiefer in den Decken.
    »Frieden«, lachte der andere. »Das gefällt mir, Jungchen. Aber lass uns auf etwas anderes trinken. Etwas, das wichtiger ist.«
    Bisher hatte er sich immer abseits von der übrigen Truppe gehalten. Auf Fragen hatte er ausweichend geantwortet, im Jeep saß er meist neben dem Fahrer und unterbrach sein Schweigen nur, um in knappen Worten die Richtung zu weisen. Jetzt allerdings klang er anders. Wie einer, der es gewohnt ist, Befehle zu geben. Selbstsicher, überlegen. Ob es am Alkohol lag, war schwer zu sagen. Er machte nicht den Eindruck, als sei er betrunken.
    »Lass uns auf die Sieger anstoßen.«
    »Warum?«
    »Weil es nur zwei Sorten von Menschen gibt, Soldat. Sieger und Besiegte. Der Mensch wählt selbst, zu wem er gehören will. Man muss nur sehr genau beobachten und im richtigen Moment die richtige Entscheidung treffen. Du bist hier, weil du zu den Siegern gehörst. Und ich bin hier, weil ich das weiß. Der Sieger fragt nicht, er nimmt sich, was er braucht. Dort hinten«, er zeigte auf die Berge, die sich hinter ihnen wie eine schwarze Wand in den nächtlichen Himmel reckten, »ist Niemandsland. Was brauchst du? Geld? Frauen?«
    »Ich habe eine Frau.« Der Soldat fingerte mit unsicheren Fingern ein zerknittertes Foto aus der Brusttasche. »Hier, sie heißt Clara.«
    Der andere warf einen kurzen Blick darauf und gab ihm das Bild zurück.
    »Ist sie stark?«
    Mahler rülpste laut. »Warum sollte sie stark sein? Sie liebt mich, ist das nicht genug?«
    »Eine Frau muss stark sein. Sie muss sich um dich kümmern, sie muss dir Kinder gebären, und sie muss sie beschützen.« Der Mann im Tarnanzug deutete mit dem Daumen über die Schulter, wo der Schlafende leise vor sich hin schnarchte. »Er ist schwach. Und er mag keine Frauen.«
    »Der Leutnant?«
    »Ja, der Leutnant.«
    »Er ist mein Vorgesetzter, es ist mir egal, ob er auf Frauen steht oder nicht.«
    »Er fickt andere in den Arsch.«
    Der Soldat zuckte die Achseln und nahm einen tiefen Schluck.
    »Und du?«
    »Was soll mit mir sein?«
    »Ich weiß nicht.« Mahler griff neben sich und warf ein paar Zweige ins Feuer. »Wie heißt du eigentlich?«
    Der Mann im Tarnanzug trank ebenfalls. »Nenn mich Sivo.« Er beugte sich vor und sah dem anderen in die Augen. »Und ich lasse mich von niemandem ficken, Jungchen.«
    Mahler lachte unsicher. »Weil du ein Sieger bist, richtig?«
    »Ja. Weil ich ein Sieger bin.«
    Ein großer, schwarzer Vogel flog über sie hinweg, stieß einen klagenden Schrei aus und ließ sich in den Zweigen einer Stechpalme nieder. Mahler sah auf. »Was ist das für ein Vieh?«
    »Eine Krähe.«
    »Die gibt es in Deutschland auch. Man sagt, sie bringt Unglück.«
    »Das sagt man bei uns auch.«
    Mahler erhob sich schwankend. »Ich muss pinkeln«, murmelte er, kippte nach vorn und wäre fast ins Feuer gestürzt. »Scheiße, ich glaub, ich war noch nie so besoffen.«
    »Leg dich hin und schlaf. Es wird gleich hell, dein Leutnant wird dich bald wecken.«
    Mahler rülpste erneut. »Leutnant Sauer kann mich mal.« Er wankte drei Schritte beiseite und erbrach sich ins Gebüsch.
    *
    Zorn wollte nicht glauben, was er soeben gehört hatte.
    »Du warst mit dem Staatsanwalt beim Bund?«
    Mahler nickte. »Das war 1993, während des Kroatienkrieges. Wir waren als Blauhelme abkommandiert. Ich wundere mich, dass ihr das nicht längst herausgefunden habt.«
    »Das hätten wir. Irgendwann.«
    Die Kerze flackerte auf. Ihre Schatten tanzten verzerrt über die Gewölbewand. Mahler legte die Arme um die Beine und sah Zorn an.
    »Ich erzähle dir das alles, weil ich dich vor dem Kroaten warnen will. Er hatte viele Namen, damals nannte er sich Sivo, hier ist er Mirko Stapic, der nette Barbesitzer von nebenan.«
    Zorn setzte zu einer Erwiderung an, doch Mahler brachte ihn zum Schweigen.
    »Ich habe im Internet Bilder gefunden. Und Berichte von den Opfern. Als er damals als Dolmetscher zu uns kam, war er Hauptmann bei der jugoslawischen Armee. Vorher hat er eine Art paramilitärische Organisation geführt, er muss Dutzende ermordet haben, und es war ihm egal, ob es Serben, Kroaten, Muslime oder Christen waren. Er wollte nur eins: plündern. Er muss Millionen zusammengeraubt haben. Manche sagen, dass es ihm gar nicht ums Geld ging, sondern ums Töten. Dass er Spaß daran hatte, andere foltern und umbringen zu können, ohne Angst vor Verfolgung durch

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