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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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die Kopfstütze.
    Der Leutnant legte Mahler die Hand auf die Schulter. »Dieser Mann wird fahren, und wenn er sich die Seele aus dem Leib kotzt.«
    Mahler war mit dem Kopf auf das Lenkrad gesunken. Er gab sich einen Ruck und schloss resigniert die Tür.
    »Rechts oder links?«, fragte er mit dumpfer Stimme und legte den Gang ein.
    »Links«, befahl Sauer.
    »Rechts«, korrigierte Sivo leise. Ob ihn das, was Sauer soeben gesagt hatte, beleidigt hatte, war nicht zu erkennen. »Geradeaus kommt eine Brücke, sie ist letzte Woche eingestürzt. Wir müssen runter ins Tal und dann auf der anderen Seite wieder hinauf.«
    Sauer sah in die Karte und nickte. »Dann los. Ein bisschen plötzlich, wenn ich bitten darf, wir sind spät dran. Und machen Sie das Radio an, ich komme mir vor, als würde ich zu einer Beerdigung gefahren.«
    Mahler gab Vollgas, der Jeep setzte sich mit durchdrehenden Reifen in Bewegung, eine rötliche Staubwolke wirbelte auf, als er nach rechts in den Wald einbog.
    »Ich sagte, Sie sollen das Radio einschalten.«
    Mahler bremste ab und gehorchte. Auf Mittelwelle lief ein italienischer Schlagersender. Bellend sagte der Sprecher den nächsten Titel an, es klang, als würde ein Maschinengewehr heißlaufen. Dann ertönten die ersten Takte eines alten Sinatra-Titels.
    Der Weg wurde enger. Die Kiefern standen jetzt dichter, ihre Zweige reckten sich wie knorrige Finger nach dem Jeep und kratzten mit flirrendem Schleifen an den Seitentüren.
    »Schneller!«, befahl Sauer.
    Mahler beschleunigte abrupt und schaltete einen Gang höher. Ihre Köpfe wurden nach hinten gepresst, Steine spritzten gegen den Unterboden.
    And now the end is near and so I face the final curtain.
    Die Sonne stand tief, sie schien ihnen direkt in die Augen. Mahler zwinkerte. Wieder stieg die Übelkeit hoch. Er würgte, dann klappte er die Sonnenblende herunter. Der Kroate warf ihm einen Seitenblick zu und schnallte sich an. Langsam näherten sie sich der Talsohle, rechts von ihnen ging es steil bergab, tief unten glitzerte ein reißender Bergbach in der Sonne.
    I’ve lived a life that’s full, I’ve traveled each and every highway.
    Leutnant Sauer pfiff leise mit. »Toller Song, ich liebe Sinatra. Übertreiben Sie nicht«, wandte er sich dann gutgelaunt an Mahler, »oder wollen Sie uns umbringen?«
    Wieder bremste Mahler ab. Drehte sich nach hinten, um Sauer zu sagen, dass er jetzt genug habe, dass der feine Herr Leutnant gefälligst die Fresse halten und allein fahren könne, denn er, Mahler, habe es nicht nötig, sich wie ein dahergelaufener Köter herumkommandieren zu lassen und …
    Doch er kam nicht dazu.
    »Vorsicht!«, schrie Sauer und zeigte nach vorn.
    Plötzlich klang seine Stimme hoch und schrill. Weibisch.
    And more, much more than this …
    Mahler drehte sich wieder nach vorn.
    Zuerst sah er ihre Augen. Die Frau stand mitten auf dem Weg. Sie trug ein schwarzes Kopftuch und ein weites, ebenso schwarzes Kleid, auch das war deutlich zu erkennen. In der linken Hand hielt sie einen Korb, unter dem rechten Arm klemmten ein paar Holzscheite.
    Der Jeep raste direkt auf sie zu. Mahler lenkte panisch nach rechts, auf die Böschung zu. Ihre Augen kamen näher. Sie waren dunkel, fast schwarz. Wurden größer, bis sie die gesamte Frontscheibe ausfüllten.
    Dann waren sie in seinem Kopf. Und dort sollten sie für den Rest seines Lebens bleiben.
    … I did it my way.
    Dunkle, fast schwarze Augen.
    Sie wurde von der Fahrertür erfasst, der Aufschlag war kaum zu spüren. Niemand sah, wie sie über das Dach geschleudert wurde und hinter dem Wagen aufschlug. Ihr Korb landete ein paar Sekunden später neben ihrem rechten Bein, ein Dutzend gelber Äpfel kullerten die Böschung hinunter.
    Der Jeep drehte sich einmal um sich selbst und kam zum Stehen. Schwankte einen Moment, dann kippte er langsam, sehr langsam zur Seite und rutschte den Abhang hinunter. Die Vorderachse blieb an einem Baumstumpf hängen, der Wagen überschlug sich und landete schließlich zu Füßen einer alten Kiefer krachend auf den Rädern. Der Baum erzitterte, dann ergoss sich ein feiner Regen aus Nadeln und Blütenstaub über den Jeep.
    Mahler saß mit geschlossenen Augen hinter dem Steuer, das Lenkrad so fest umklammert, dass die Finger schmerzten. Sonst tat ihm nichts weh, er war unverletzt. Bis auf seinen Kopf, der dröhnte, als wäre er in einen Schraubstock eingespannt. Ein schnelles, rhythmisches Quietschen erfüllte den Wagen. Und etwas anderes, das er nicht

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