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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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will auf den Reiterhof, wo wir letztes Jahr waren. Ich, Tom, Mama und du. Aber diesmal will ich das graue Pferd reiten. Das mit dem hellen Fleck zwischen den Augen, das Tom beim letzten Mal hatte.«
    »Okay. Er wird bestimmt nichts dagegen haben.«
    Sie nahm sich den iPod. »Du hast die Kopfhörer vergessen, Papa.«
    »Ach, ich bin wirklich bescheuert«, sagte Mahler. »Ich bring sie dir morgen mit.«
    »Und Tom. Bring Tom mit. Jetzt bin ich müde.«
    Sie schloss die Augen und war augenblicklich eingeschlafen. Dabei hielt sie den iPod ihres Bruders fest in der kleinen Hand.
    *
    Zorn saß zu Hause auf dem Sofa. Draußen wurde es langsam dunkel. Im Hintergrund dudelte eine David-Bowie-Platte, auf dem Couchtisch standen ein voller Aschenbecher und eine halbe Flasche Bier.
    Im Zigarettenladen hatte er feststellen müssen, dass er kein Geld dabeihatte. Also war er zurück ins Büro gehastet und hatte sämtliche Schubladen vergeblich nach einer vereinzelten, irgendwann einmal vergessenen Zigarette durchsucht. Dann hatte er sich wahllos einen der dicken Aktenordner aus dem Regal gegriffen, das gottverdammte Ding mit aller Kraft gegen die Wand geworfen, den Computer ausgeschaltet und war heimgefahren.
    Jetzt dachte Claudius Zorn nach.
    Es gab so viele Dinge, die er klären musste. Er wusste, dass ihm wegen der Anzeige Ärger drohte. Und er wusste ebenso, dass er Schlimmeres hätte verhindern können, wenn er sich bei Kusch entschuldigt hätte. Aber was hatte er schon getan? Er war angehalten worden, weil er während der Fahrt mit dem Handy telefoniert hatte. Und hatte Kusch den Mittelfinger gezeigt. Mehr nicht. Andererseits hatte Wachtmeister Kusch nur seinen Job gemacht. Wahrscheinlich war er sogar ein netter Kerl, aber Zorn war nicht der Mensch, der anderen gegenüber einen Fehler zugab. Eine Entschuldigung hätte das Eingeständnis bedeutet, etwas falsch gemacht zu haben.
    Nein, dachte Zorn trotzig, ich werde nicht zu Kreuze kriechen, und nippte an seinem Bier. Ich habe Wichtigeres zu tun, ich habe einen beschissenen Fall zu lösen. Wahrscheinlich hätte ich damit rechnen müssen, dass in zwanzig Jahren bei der Kripo irgendwann etwas passiert, das mich bis nach Hause verfolgt. Nebenbei erledigen kann ich das nicht. Irgendetwas Abartiges, Böses hat sich ausgerechnet dieses mittelmäßige Kaff ausgesucht, um sich hier auszutoben. Und ich muss rausfinden, was es ist. Obwohl ich keine Lust dazu habe.
    Hauptkommissar Zorn wollte tagsüber seine Ruhe haben, zwischendurch an nichts denken und abends seine Platten hören. Jetzt war es anders. Und es lag nicht nur an diesem rätselhaften Fall, sondern auch an Staatsanwalt Sauer.
    In den letzten Tagen war Zorn immer bewusster geworden, dass Philipp Sauer ihn für inkompetent hielt. Und je klarer ihm das wurde, desto größer wurde sein Ehrgeiz, diesen Fall aufzuklären.
    Er stand auf, um sich ein weiteres Bier zu holen. Als er den Kühlschrank öffnete, schoss ihm ein aberwitziger Gedanke durch den Kopf: Es ging ihm gar nicht darum, die Allgemeinheit vor einem möglicherweise psychopathischen Killer zu schützen. In erster Linie wollte er Sauers verdutztes Gesicht sehen, wenn er ihm den Täter präsentierte.
    Er setzte sich an den Küchentisch. Konnte das wirklich sein? War ihm wirklich alles dermaßen gleichgültig?
    »Das ist es nicht«, murmelte Zorn halblaut vor sich hin. Es stimmte zwar, dass er sich oft fragte, was er bei der Kripo wollte, und es stimmte auch, dass er damals, als er Polizist geworden war, nicht lange über seine Beweggründe nachgedacht hatte. Aber er musste schon früher den Drang verspürt haben, anderen Menschen zu helfen, Verbrecher zu jagen und die Welt ein wenig besser zu machen. Jetzt, zwanzig Jahre später, liefen diese hehren Ziele Gefahr, unter Bergen von Akten begraben zu werden, aber gänzlich verschwunden waren sie nicht.
    Ächzend erwachte der Kühlschrank zum Leben, das Aggregat brummte laut vor sich hin.
    Ich bin einer von den Guten. Ich will den Menschen helfen, dachte Zorn und stand auf. Ich habe halt nicht immer Lust dazu. Und ich brauche einen neuen Kühlschrank, das Scheißding ist mindestens fünfzehn Jahre alt.
    Er ging zurück ins Wohnzimmer, legte die andere Plattenseite auf und überlegte weiter.
    Konnte es tatsächlich sein, dass Sauer den Fall gar nicht lösen
wollte
? Aber welches Interesse sollte er daran haben? Nein, dachte Zorn und gähnte. Sauer ist eiskalt, er würde so ziemlich alles aufs Spiel setzen. Aber seine Karriere?

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