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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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Rand seiner Brille. »Das ist eine ernste Angelegenheit«, erwiderte er mit einem feinen Lächeln.
    »Das ist mir bewusst.«
    »Was schlagen Sie vor?«
    »Um die Sache einfacher zu machen, kann ich Ihnen gern ein paar traumatische Erlebnisse aus meiner Kindheit liefern.«
    »Ich höre?«
    Zorn sah sich in dem engen Büro um. Ein großes Fenster gab den Blick auf den Innenhof des Präsidiums frei. Draußen war es düster. Obwohl noch nicht einmal Mittag war, hatte Keitel das Licht eingeschaltet.
    »Wieso haben Sie eigentlich keine Couch? Ich müsste mich doch hinlegen, oder?«
    »Das sind Klischees«, erwiderte Keitel. »Ich kann auch im Sitzen therapieren.«
    Zorn kratzte sich im Nacken. »In der Grundschule gab es jemanden, der die gesamte Klasse tyrannisiert hat. Sein Name war Peter Huppenbach. Ich war der Kleinste, mich hatte er besonders im Visier.«
    »Wie hat sich das geäußert?«
    »Ich musste seine Schultasche tragen. Und er hat mir die Pausenbrote abgenommen.«
    Keitel nahm seine Brille ab, holte ein Tuch aus der Hemdtasche und begann, die Gläser zu putzen. »Das klingt wirklich äußerst traumatisch, Herr Hauptkommissar.«
    »Oh ja. Ich glaube, ich habe das nie richtig verarbeitet, Herr Doktor.« Zorn sah den Psychologen sehr ernst an. »Jedes Mal, wenn ich ein Brot sehe, bekomme ich Schweißausbrüche.«
    »Ja?«
    »Und Gewaltphantasien.«
    Keitel öffnete den oberen Hemdknopf und lockerte seinen Schlips. »Zwingen kann ich Sie zu nichts. Aber wenn das alles hier etwas bringen soll, müssen Sie mich ernst nehmen.«
    »Das tu ich doch«, sagte Zorn unschuldig. »Wir analysieren jetzt gemeinsam, dann verschreiben Sie mir ein paar Tröpfchen, tippen Ihren Bericht und wir haken das Ganze ab.«
    Doktor Keitel hauchte sorgfältig in eines der Gläser, hob die Brille prüfend gegen das Licht und setzte sie wieder auf.
    »Sie wollen sich nicht helfen lassen, und wahrscheinlich brauchen Sie auch gar keine Hilfe. So, wie ich das sehe, wird ein Verfahren gegen Sie eingeleitet. Das sollten Sie nicht unterschätzen. Und ich habe Anweisung von der Staatsanwaltschaft, ein Gutachten über Ihre Dienstfähigkeit zu erstellen, Herr Hauptkommissar. Dem kann ich mich nicht einfach entziehen. Und dazu brauche ich Ihre Hilfe.«
    Zorn seufzte. »Wir wissen beide, dass dieses Gutachten reinste Schikane ist, oder?«
    »Sie vielleicht. Ich weiß es noch nicht. Dazu muss ich erst Ihre Personalakte lesen.« Erneut wühlte der Psychologe in dem Aktenstapel. »Irgendwo hab ich hier eine Kopie. Meines Wissens ist sie nicht vollständig, aber ich würde vorschlagen, Sie schreiben auf, was genau aus Ihrer Sicht passiert ist. Wir verabreden uns für nächste Woche und reden noch einmal in Ruhe, dann –«
    »Wie war das?« Zorn war aufgesprungen.
    »Ich sagte, wir verabreden uns für nächste –«
    »Nein, Sie haben was von einer Kopie gesagt!«
    »Allerdings«, erwiderte Keitel verwundert.
    »Einer unvollständigen Kopie!«
    »Ja und?«
    Zorn langte wortlos über den Schreibtisch, griff Keitels Telefon und tippte hektisch Schröders Durchwahl ein. »Komm sofort in mein Büro!«, rief er, »bring die Berichte mit, Obduktion und Spuren!« Er knallte den Hörer auf die Gabel, dann wandte er sich an Keitel. »Ich wusste, dass ich was übersehen hab.«
    »Aha.« Der Psychologe kratzte sich an der Nase.
    Der muss wirklich denken, ich bin völlig durchgeknallt, dachte Zorn und rannte grußlos aus dem Zimmer.
    *
    »Und? Fällt dir was auf?« Sie saßen an dem kleinen Tisch in Zorns Büro. Zwischen ihnen lagen der Obduktionsbericht und der Bericht der Spurensicherung. Schröder schüttelte den Kopf.
    »Das hier«, Zorn hob die Mappe der Spurensicherung, »ist ein Original, während wir es hier«, er nahm den Obduktionsbericht in die andere Hand und hielt ihn in die Höhe, »mit einer Kopie zu tun haben.«
    Er öffnete die Mappe und zeigte sie Schröder. »Hier: Anmerkungen vom Pathologen, handschriftlich. Eindeutig eine Kopie.«
    Schröder zuckte die Achseln. »Es ist völlig normal, dass Sauer die Berichte kopieren lässt. Wir haben von dem einen das Original und von dem anderen die Kopie bekommen. Zufall, Chef.«
    »Nix Zufall!« Zorn blätterte die dünne Akte durch. Er hatte eine Zigarette im Mundwinkel und kniff das linke Auge zusammen. »Die Seiten sind nummeriert, oder?«
    Ein großes Stück Zigarettenasche landete auf dem Tisch. Zorn pustete kurz, ein Großteil der Asche landete auf Schröders Schoß.
    »Verbindlichsten Dank, Chef«,

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