Zorn - Tod und Regen
Niemals.
Irgendetwas stimmt da nicht. Ich übersehe etwas. Und ich drehe mich im Kreis. Wir sind jetzt seit einer Woche an diesem Fall und immer noch keinen Schritt weiter. Vielleicht wäre es doch besser, weiter Akten zu sortieren? Ach, ich bin wirklich nicht scharf auf diesen ganzen Kram.
Er nahm sein Handy.
»Ja?«, meldete sich Schröder. Er klang verschlafen.
»Hast du eine Badehose?«
»Wie meinen?«
»Wir gehen morgen schwimmen.«
Schröder gab ein Geräusch von sich. Zorn war nicht sicher, ob es ein Stöhnen oder ein Gähnen war.
»Das ist eine wirklich tolle Idee, Chef«, sagte Schröder und legte wieder auf.
Zorn nahm sein Bier und ging zum Fenster. Betrachtete sein verzerrtes Spiegelbild. Ich bin müde, dachte er. Ich muss jetzt schlafen.
Der Wind rüttelte wie ein wütendes Tier am Fenster. In der Ferne blinkten die roten Positionslichter der Windräder. Tief unter ihm glänzten die Dächer im Regen, und der Verkehr rauschte lautlos über die hell erleuchtete Hochstraße.
Die Stadt war noch da.
Acht
»Tja, Kollege Zorn. Ich fürchte, jetzt bist du zu weit gegangen.« Staatsanwalt Sauer schob eine gelbe Ermittlungsakte über den Tisch. »Anzeige wegen Fahrerflucht und Beamtenbeleidigung in Tateinheit mit Verdacht auf Führen eines Kraftfahrzeuges unter Alkoholeinfluss.« Sehr langsam und sehr bedauernd schüttelte Sauer den Kopf. »Was soll ich bloß mit dir machen?«
Gepflegt am Arsch lecken kannst du mich, dachte Zorn und schlug die Beine übereinander.
Als er am Morgen das Präsidium betrat, hatte ihm der uniformierte Beamte an der Pforte einen handgeschriebenen Zettel des Staatsanwaltes übergeben. Darin wurde er unmissverständlich aufgefordert, sofort in dessen Büro zu erscheinen. Nach kurzem Zögern hatte Zorn entschieden, das Ganze so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, und war mit dem Fahrstuhl in die dritte Etage gefahren.
»Ich muss davon ausgehen, dass du deinen Aufgaben nicht mehr gewachsen bist. Die Ermittlungen überfordern dich, du hast keine Ergebnisse vorzuweisen, und nach Dienstschluss«, Sauer schlug mit der flachen Hand auf die Akte, »baust du nun auch noch so einen Mist.«
Das Büro des Staatsanwalts bot einen hervorragenden Blick über die Stadt. Rechts sah Zorn den Hügel mit der mittelalterlichen Burgruine, in der Mitte erhoben sich die Türme der Marktkirche, schräg dahinter standen die riesigen Flutlichtmasten des städtischen Fußballstadions, das gerade saniert wurde.
Es ist so sinnlos, dachte Zorn. Warum pumpt man Millionen in ein Stadion, in dem ein armseliger Verein zweimal im Monat vor einer Handvoll Menschen vergeblich versucht, so etwas wie Fußball zu spielen? Wenn man die ganze Veranstaltung doch problemlos auf einer Wiese im Stadtwald abhalten könnte?
Schaudernd erinnerte er sich an die Zeit, als er selbst noch an diesen Samstagen im Einsatz gewesen war: Hubschrauber kreisen über der Stadt, mehrere Hundertschaften sind stundenlang damit beschäftigt, ein paar Dutzend betrunkener Männer zu begleiten, die fahnenschwingend und brüllend auf der Suche nach nicht vorhandenen Gegnern durch die Innenstadt ziehen.
»… dich wohl zum Psychologen schicken.«
Zorn horchte auf.
Sauer lag mehr, als er saß in seinem großen, ledernen Bürostuhl. »Hörst du mir überhaupt zu, Claudius?«
»Ich geb mir Mühe. Wie ist das mit dem Psychologen gemeint?«
Sauer griff einen vergoldeten Füller und drehte ihn in der Hand. »Ganz einfach: Ich entscheide, ob du einsatzfähig bist oder nicht. Im Moment sieht es für mich danach aus, als wärst du auf ganzer Linie überfordert. Sowohl privat als auch dienstlich. Aber wie gesagt: Es liegt an meiner Einschätzung. Du kannst mich gern vom Gegenteil überzeugen.« Sauer öffnete eine Schublade seines Schreibtischs und verstaute die Akte. »Wenn ich will«, sagte er und sah Zorn an, »bleibt die Anzeige vorerst da drin.« Er klopfte mit dem Zeigefinger leicht auf den Tisch und wiederholte: »Vorerst. Ich könnte dich suspendieren, aber ich denke, du brauchst Hilfe. Professionelle Hilfe. Und deswegen schicke ich dich zum Psychologen.«
Zorn schluckte. Der Gedanke, dem Polizeipsychologen in der ersten Etage auf Gedeih und Verderb ausgesetzt zu werden, war der reinste Albtraum. Freiwillig wäre er nie auf die Idee gekommen, mit einem wildfremden Menschen über seine Probleme zu reden. Wer dort hinging, war entweder krank oder ein Weichei. Zorn wusste, dass diese Anweisung nichts anderes als Schikane war. Aber
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