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Zorn - Tod und Regen

Zorn - Tod und Regen

Titel: Zorn - Tod und Regen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan Ludwig
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gekommen, dass sie auch in der Kantstraße nicht fündig geworden waren. Um wenigstens etwas zu tun, war er mit Schröder zum Markt gefahren, um den Turm zu inspizieren. Jetzt, da er davor stand, hatte er absolut keine Lust, hinaufzusteigen. Er war einfach nur müde.
    »Was hast du gesagt?«, fragte Schröder.
    »Nichts. Lass uns hochgehen.«
    Sie standen vor einer kleinen Holztür am Fuße des Turms. Schröder griff in die Manteltasche und holte ein Schlüsselbund hervor. »Die war aufgebrochen. Was wahrscheinlich kein Problem war, das Schloss ist mit einem nassen Handtuch zu knacken.« Die Tür öffnete sich mit einem Quietschen. Er deutete eine Verbeugung an. »Grüß Gott, tritt ein, bring Glück herein. Du gestattest, dass ich vorangehe.«
    »Witzbold«, knurrte Zorn.
    Das Treppenhaus war schmal und zugig. Zorn folgte den ausgetretenen Sandsteinstufen, die sich scheinbar endlos nach oben schlängelten. Bereits nach wenigen Metern verlor er den Kontakt zu Schröder, der auf kurzen Beinen munter voranstapfte. Die ersten fünfzig Stufen schaffte Zorn relativ problemlos, bei der hundertsten hörte er auf zu zählen, nach weiteren zwanzig blieb er schließlich stehen, lehnte sich schnaufend an die Wand und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Weiter oben hallten Schröders schnelle, regelmäßige Schritte und entfernten sich langsam.
    Er stand direkt an einem kleinen, vergitterten Fenster, das von außen in die meterdicke Wand eingelassen war. Auf einem schmalen Sims saß eine zerzauste Taube und beäugte ihn misstrauisch mit schief gelegtem Kopf. Er beugte sich vor, sah auf den Markt hinunter und bemerkte frustriert, dass er höchstens die Hälfte des Weges geschafft haben konnte. Die Taube flatterte auf, eine feine Wolke aus Kalk, getrocknetem Kot und uraltem Staub wehte Zorn ins Gesicht.
    Die Luft im Treppenhaus war stickig. Vor einigen Jahren mussten die Wände frisch gekalkt worden sein. Die Farbe und Teile des Putzes waren stellenweise abgebröckelt,
    Warum tue ich mir das an?, fragte sich Zorn und wischte den Schweiß von der Stirn.
    Direkt neben das Fenster hatte jemand mit schwarzem Edding ein stilisiertes weibliches Geschlechtsteil an die Wand gekrakelt. Zorn tippte auf einen übergewichtigen Sechstklässler, der offensichtlich auf dem letzten Klassenausflug hier pausiert hatte. Er schien äußerst schlechter Laune gewesen zu sein, denn unter das Bild hatte er mit ungelenker Hand etwas geschrieben.
    Fotsenscheiße
, las Zorn.
    Sein Handy klingelte, er kramte es hastig aus der Tasche und sah auf dem Display eine Nummer, die er nicht kannte. »Zorn?«
    Als er ihre Stimme hörte, sackte sein Magen ein paar Zentimeter nach unten.
    »Hi, ich bin’s.«
    Malina.
    »Hallo.« Er räusperte sich umständlich, während sie zu warten schien, dass er etwas sagte. Was er dann auch tat: »Wie geht’s?«
    »Gut«, erwiderte sie. Mehr nicht.
    Himmelherrgott, dachte Zorn. Du hast mich angerufen, also sag auch was!
    »Und dir?«, fragte er dann.
    »Auch gut.«
    »Schön.«
    Er hörte ein Feuerzeug klicken, wahrscheinlich steckte sie sich eine Zigarette an.
    »Ich wollte dich fragen«, sagte sie nach einer Weile, »was du –«
    »Kommst du, Chef?«, hallte es undeutlich von oben herab.
    »Ruhe!«, brüllte Zorn.
    »Was?«, fragte Malina.
    »Nichts«, druckste Zorn, »ich hab dich eben schlecht verstanden.«
    »Stör ich dich?«
    »Nee, überhaupt nicht«, versicherte er hastig.
    Er hörte deutlich, wie sie den Rauch ausatmete. Dann sagte sie: »Was machst du heute Abend?«
    »Ich?«
    »Ja.«
    »Na ja …« Er tat, als müsse er nachdenken. »Eigentlich nichts.«
    »Magst du Sushi?«
    »Sehr.«
    Zorn hasste Fisch. Vor allem Sushi.
    »Okay«, sagte Malina, »ich besorg das Sushi und du den Wein. Ich komm zu dir, so gegen acht?«
    »Das klingt gut.«
    Es war still in der Leitung. Zorn trat von einem Bein aufs andere, zupfte sich eine Fussel vom Ärmel und lauschte ihrem Atem. Komisch, schoss es ihm durch den Kopf, man könnte denken, sie ist genauso verlegen wie ich.
    »Ich freu mich«, sagte sie leise.
    »Ja.« Das war für seine Verhältnisse mehr als eindeutig. Dann legten sie auf.
    Was für ein Tag, dachte er und steckte das Handy ein. Jetzt hab ich auch noch ein Date. Er atmete tief durch und machte sich wieder auf den Weg. Zwei Minuten später waren seine Beine weich wie Pudding, doch kurz darauf erreichte er Schröder, der ihn auf einem kleinen Absatz gutgelaunt erwartete.
    Zorn keuchte, öffnete den Reißverschluss

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