Zorn - Tod und Regen
den Kopf zerbrochen, aber … Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen gern erzählen, worum es geht. Und Ihre Meinung dazu hören.«
»Ich denke, Sie halten nichts von Psychologie?«
»Allerdings.«
»Warum wollen Sie dann meine Hilfe?«
»Weil ich glaube, dass Sie ein kluger Mann sind. Und weil ich völlig ratlos bin.«
»Schießen Sie los«, erwiderte Keitel und lockerte seine Krawatte.
*
»Trink das.«
Etwas kitzelt ihren Mund, ein Strohhalm. Sie hebt den Kopf. Gierig versucht sie zu saugen, doch ihre rissigen Lippen finden keinen Halt. Kraftlos sinkt sie zurück. Spürt, wie ein paar Tropfen in ihren Mund gegossen werden. Etwas Warmes, Tee vielleicht. Zuerst ist es, als würde die Flüssigkeit in ihrer Kehle verdunsten, dann breitet sich die Wärme in ihrem Körper aus. Sie spürt etwas in sich aufsteigen, ein Gefühl, das ihr völlig unsinnig erscheint. Dankbarkeit. Zunächst wehrt sie sich dagegen, dann ist es ihr egal, sie trinkt und trinkt, obwohl das Schlucken fürchterlich weh tut. Sie will nie mehr aufhören.
Dann ist es vorbei, viel zu schnell.
»Das reicht.« Sie hört, wie etwas auf den Boden gestellt wird. Ein Becher. »Wir haben noch viel vor. Du wirst Kraft brauchen.«
Sie spürt einen Lichtstrahl über ihr Gesicht flackern. Vorsichtig öffnet sie die Augen einen Spalt, schließt sie sofort wieder. Das Licht ist nicht grün, wie bei seinem ersten Besuch, sondern weiß. Diesmal scheint er eine Lampe am Kopf befestigt zu haben. Sie kann sein Gesicht nicht sehen. Das grelle Licht blendet wie der Scheinwerfer eines landenden Jumbojets.
»Was für ein Tag ist heute?« Sie weiß nicht, warum sie das fragt, aber es erscheint ihr im Moment ungeheuer wichtig. Das Sprechen fällt ihr schwer, es klingt, als würden rostige Metallplatten aneinanderreiben.
»Montag.«
Fast drei Tage ist sie jetzt hier.
Er lacht leise. »Ich wollte eigentlich gestern zu dir kommen, aber ich wurde aufgehalten.«
Sie schaudert, als er ihr über die Brüste streicht.
»Du hast schöne Titten.«
Dann wandern seine Finger über ihren Bauch, zu ihren Schenkeln.
»Deine Beine sind auch okay.«
Verharren dort.
»Lang. Und sehnig.«
Sie bewegt den Kopf zur Seite, mehr kann sie nicht tun. Dann dreht sie sich um, sieht direkt in die Lampe. Dahin, wo sie seine Augen vermutet. Versucht, entschlossen zu klingen.
»Fass mich nicht an.«
Als er den Kopf in den Nacken wirft, wandert der Lichtstrahl zur Decke. Jetzt lacht er, als hätte er den besten Witz seines Lebens gehört. Laut, fast herzlich.
»Glaub mir, wenn ich dich ficken wollte, hätte ich das längst getan.«
Eine Pause entsteht. Sie ahnt, was geschehen wird, und beginnt, am ganzen Körper zu zittern. Dann kommt die Panik. Der Puls donnert in ihrem Kopf, ihr Herz schlägt um sich wie ein gefangenes Tier, das um sein Leben kämpft. Sie weiß, dass er seine Entscheidung längst getroffen hat, dass sie das, was jetzt geschehen wird, nicht ändern kann, und doch beginnt sie, um ihr Leben zu betteln. »Geht es um Zorn? Um Sauer? Sag mir, was du wissen willst«, fleht sie. »Ich habe nur ein paar Akten besorgt, mehr nicht, aber ich erzähle dir alles, was ich weiß!«
»Das ist nicht mehr nötig.«
»Aber du hast mich gefragt, was er über dich weiß, ich kann dir –«
»Das war eher eine rhetorische Frage«, unterbricht er sie. »Ein kleines psychologisches Vorspiel. Du bist hier, weil du gestohlen hast. Und dafür wirst du bestraft.«
Es klatscht leise, als er die Hände auf die Oberschenkel schlägt, dann steht er auf. »Es gibt Arbeit.« Sie hört das Klirren von Metall, als er mehrere Gegenstände auf dem Boden ausbreitet. »Und ich habe Werkzeug mitgebracht.«
*
»Wenn ich das richtig verstehe«, Keitel schlug die Beine übereinander, »haben Sie momentan drei Fälle: den Mord an Sigrun Bosch, den an Staatsanwalt Sauer und das Verschwinden von Hannah Saborowski. Richtig?«
»Richtig«, nickte Zorn. »Zweimal Mord, einmal vermisst, kurze Tatabstände, und ich suche nach einer Verbindung.«
»Was ist, wenn es keine gibt?«
»Das glaube ich nicht. Sauer wollte mit allen Mitteln verhindern, dass der Tod von Sigrun Bosch aufgeklärt wird. Und Hannah hat mir geholfen, gegen Sauer zu ermitteln. Es gibt einen Zusammenhang. Es muss einen geben.«
»Wahrscheinlich.« Keitel nickte langsam, schob seine Brille zurecht und überlegte. »Dann müsste man herausfinden, welches Motiv Staatsanwalt Sauer hatte.«
»Er ist der Mörder von Sigrun
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