Zorn und Zärtlichkeit
Preis.
»Du findest es wohl komisch, dass mich dein Vater überrumpelt hat, was?«
»Er will sich nur für die Verluste entschädigen, die er in diesem Sommer erlitten hat, und das ist sein gutes Recht. Immerhin trägt er keine Schuld an eurem Friedensbruch.«
Jamie seufzte. »Du willst mich sicher begleiten, wenn ich ihm das Lösegeld bringe.«
Sheenas Augen leuchteten auf. »Darf ich?« fragte sie hoffnungsvoll.
Er zögerte nur kurz. »Ja - wenn du dafür sorgst, dass so was nie mehr vorkommt.«
»Das schaffe ich ganz bestimmt. Und Black Gawain? Gibst du jetzt zu, dass er Iain absichtlich niedergestochen hat?«
»Er hat das Land verlassen, Sheena. Diese Nachricht wurde mir soeben überbracht.«
Sie war nicht überrascht. »Vermutlich dachte er, du würdest ihn früher oder später für seine Missetat zur Rechenschaft ziehen.«
»Ja, das glaube ich auch. Übrigens, er hat dir etwas ausrichten lassen. Er bittet dich um Verzeihung ->für alles<. Was meint er damit?«
»Wir haben uns ein paarmal gezankt«, antwortete Sheena ausweichend und hielt es für überflüssig, Einzelheiten zu schildern. »Er hasst e mich, als er erfuhr, wer ich bin, und das war zu erwarten. Immerhin musste er damals glauben, dass meine Familie den Tod seiner Schwester auf dem Gewissen hat.«
Jamie gab sich mit dieser Erklärung zufrieden. »Willst du mich bitten, ihn suchen zu lassen?« fragte er unbehaglich.
»Ich denke nicht. Er hat sich selber verbannt, und damit ist er hinreichend bestraft.«
»Wird dein Vater das auch so sehen?«
»Er ist ein gerechter Mann, Jamie, und wird mir wohl kaum widersprechen. Außerdem«, fügte sie lächelnd hinzu, »wird er sich unbändig über das Lösegeld freuen und gar nicht nach Black Gawain fragen.«
Jamie warf ihr einen vernichtenden Blick zu, brach aber wider Willen in lautes Gelächter aus.
Und dann entstand ein beklemmendes Schweigen. Seit Jamie so schwer verwundet worden war, hatten sie kein einziges Mal über ihre Ehe geprochen. Dazu war Sheena auch jetzt noch nicht bereit. Sie musste sich erst an die verwirrende Tatsache gewöhnen, dass sie diesen Mann liebte. Damit hatte sie nie gerechnet, und es war trotzdem geschehen. Aber Jamie hatte nie von ähnlichen Gefühlen gesprochen und ihr nur gestanden, wie sehr er sie begehrte. Sheena wusste nur zu gut, dass sie sich damit auf die Dauer nicht zufriedengeben konnte.
Als Daphne hereinkam, lockerte sich die angespannte Atmosphäre ein wenig auf. Sie war überglücklich, ihren Burder wieder auf den Beinen zu sehen und hänselte ihn: »Wie schön, dass dieser Riesenklotz von einem Mann nun doch nicht verwest ist!« Sie lachte über seine drohend gefurchte Stirn und fügte hinzu: »Nun habe ich keine Ausrede mehr, um noch länger zu bleiben. Ich werde mit Dobbin abreisen.«
»Schon so bald?« fragte Sheena.
»Weißt du, ich habe selber ein Schloss , um das ich mich hin und wieder kümmern muss . Natürlich kann ich nicht behaupten, der Besuch auf Kinnion wäre uninteressant gewesen. Immerhin kommt es nicht alle Tage vor, dass mein Bruder eine Frau heiratet, mit der er nichts anzufangen weiß.«
Jamie wurde tatsächlich rot. Sheena und Daphne zwinkerten einander zu, worauf sich seine Wangen noch dunkler färbten. »Wann willst du uns verlassen, liebste Schwester?« fragte er betont eifrig.
»Heute. Übrigens nehmen wir Jessie mit, was dich sicher freuen wird. Ich glaube, sie hat deine Gastfreundschaft über Gebühr beansprucht.«
»Allerdings«, bestätigte Sheena.
Daphne lächelte sie an, dann wurde ihr Gesicht ernst. »Jamie, Tante Lydia hat mir gesagt, dass sie uns besuchen möchte. Wenn es dir nichts ausmacht, nehmen wir sie heute mit.«
Jamies Augen verengten sich. War seine Schwester wahnsinnig geworden? »Lydia - soll Schloss Kinnion verlassen? Sie war immer hier - in all den Jahren...«
»Ich weiß. Aber sie meinte, ich würde viel öfter Einladungen geben als du, und es wäre an der Zeit, dass sie neue Leute kennenlernt - und einen Ehemann findet.«
»Was?«
Daphne kicherte. »Kannst du dir vorstellen, dass unsere Tante in ihrem Alter den Hafen der Ehe ansteuern könnte? Nun, ich finde, sie dürfte nicht mehr lange damit warten. Es ist wirklich allerhöchste Zeit.«
»So was Verrücktes!« murmelte Jamie.
»Ich werde ihr einen passenden Mann beschaffen, wenn ich auch glaube, dass sie sehr gut allein zurechtkäme. In letzter Zeit strahlt sie eine erstaunliche innere Ruhe aus.«
Sheena wechselte einen verständnisvollen
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