Zorn und Zärtlichkeit
fühlte sich immer noch verpflichtet, den Jungen zu schützen. Nun amüsierten sich noch mehr Leute auf seine Kosten, was Colen sichtlich genoß.
»Also ist sie ein großes Wagnis eingegangen, um einer Zukunft an deiner Seite zu entrinnen, Jamie«, meinte Ranald nachdenklich. »Trotzdem ist sie jetzt mit dir verheiratet. Kein Wunder, dass das arme Mädchen nicht herunterkommen will, um seine Hochzeit zu feiern...«
»Ich würde sie nicht als armes Mädchen bezeichnen, Ranald Keith«, verteidigte Thais ihren Bruder. »Nachdem sie einen so guten Mann wie Jamie bekommen hat, muss sie sich glücklich schätzen.«
Ranald warf seiner Frau einen skeptischen Blick zu. »So denkst du. Aber was meint sie?«
Plötzlich wurde Colen ernst. »Ja, Jamie - wie fühlt sie sich jetzt?«
Jamie seufzte. »Ich hätte schwören können, du würdest keinen Groll mehr gegen mich hegen, Colen. Bist du immer noch so verbittert, weil du sie verloren hast?«
»Ich bin nicht verbittert. Aber ich habe dich gebeten, sie nicht zu verletzen.«
»Glaubst du, das hätte ich getan?«
»Und welches Glück war ihr beschieden, seit sie dich geheiratet hat?«
Jamie lächelte schmerzlich. »Ich glaube, sie war glücklich - wenn auch nur für eine kleine Weile.«
Colen wurde rot, denn er verstand nur zu gut, worauf sein Bruder anspielte. »Damit ist ihr Glück noch nicht gewährleistet. Sie braucht auch ihren Seelenfrieden. Kannst du ihr den schenken - nach allem, was vorgefallen ist?«
»Hört euch doch diese beiden an!« Daphne war hinter Jamie getreten und schlang die Arme um seinen Hals. »Meine Brüder streiten an einem so schönen Festtag, und um diese frühe Stunde kann man das nicht einmal ihrem Alkoholgenuß zuschreiben. Worum geht es denn?«
»Ich glaube, das Diskussionsthema hat beschlossen, uns zu beehren«, sagte Ranald.
Sheena durchquerte die Halle und kam auf sie zu. Sie sah bezaubernd aus in ihrem königsblauen Seidenkleid, die Haare nach hinten gesteckt, so dass ihr die langen Locken über den Rücken bis zur Taille fielen. Ihr Ehemann strahlte vor Stolz.
Ranald hielt den Atem an. »O Jamie - du sagtest, sie wäre ein hübsches Mädchen - aber du hast uns verschwiegen, dass sie die Schönste von ganz Schottland ist.«
Daphne lächelte ihre Schwester an. »Jetzt schau dir doch diesen unverschämten Kerl an, den du geheiratet hast! Ein Glück, dass mein Dobbin nicht da ist, sonst würde er seine neue Schwägerin genauso anhimmeln.«
»Oh, der meine kann sie anhimmeln, solange er will.« Thais lachte und weidete sich an der verlegenen Miene ihres Mannes. »Jamie wird schon dafür sorgen, dass es beim Anhimmeln bleibt.«
Der arme Ranald Keith hatte die Hänseleien, die zwischen den Abkömmlingen des Roten Robbie MacKinnion gang und gäbe waren, noch nie verstanden. Und er wusste niemals, wann er Thais ernst nehmen musste . Er wandte sich ihr zu, und sein Blick wurde weicher, wie immer bei ihrem Anblick. Er liebte seine schöne Frau über alles. Nach seiner voreingenommenen Meinung war sie die schönere der beiden Schwestern mit ihrem schimmernden kupferroten Haar und den braunen Augen, die necken oder schmeicheln, in feuriger Erregung oder Liebe leuchten konnten. Ja, er liebte sie mit einer Leidenschaft, die ihn selbst überraschte. Doch nach fünf Ehejahren hatte er noch immer keine Ahnung, wann sie scherzte und wann sie es ernst meinte.
Er drückte ihre Hand unter dem Tisch und hoffte, dass es kein Neid auf die außergewöhnliche Schwägerin war, der ihre Augen funkeln ließ. >Außergewöhnlich - dieses Wort reichte nicht aus, um die Schönheit des Fergusson-Mädchens zu beschreiben. Diese zarte Haut, die großen, kristallklaren blauen Augen, das herrliche dunkle Haar, das einen so lebhaften Kontrast zum perlenweißen Schimmer ihrer Wangen bildete... Jamie war in der Tat ein glücklicher Mann.
Nach Thais' Ansicht konnte man Jamie nicht so glücklich nennen, wie er es verdiente. Sie vergötterte ihren älteren Bruder und wünschte ihm nur das Allerbeste. Dass er einen Mann aus dem Keith-Clan für sie ausgesucht hatte, würde sie ihm stets zugute halten. Während Daphne mit ihrem Dob-bin, den ihr der Vater aufgezwungen hatte, unzufrieden war, führte Thais mit Ranald eine gute Ehe, und das hatte sie Jamie zu verdanken.
Es schmerzte sie, beobachten zu müssen, dass er nicht so glücklich war, wie sie es ihm vergönnte, und sie erinnerte sich an seine erste tragische Hochzeit. Aber er schien nicht zu glauben, dass er die
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