Zorn und Zärtlichkeit
Sein Blick war ein wenig streng, aber ansonsten ausdruckslos.
Alasdair MacDonough, der sich zusammen mit den anderen Männern erhoben hatte, brach das Schweigen: »Ihr seid so sündhaft schön wie eh und je, meine Liebe.«
Sheena hob verwirrt die Brauen. »Seid Ihr mir nicht mehr böse?«
»Ich fühle nur ein tiefes Bedauern, das mit jeder Sekunde wächst - jetzt, wo ich Euch wiedersehe.«
Was sollte sie darauf antworten? Das war nicht der überhebliche, selbstgefällige Alasdair, an den sie sich erinnerte. Auch sie begann das Schicksal zu beklagen, das sie gehindert hatte, diesen Mann anstelle des Laird von MacKinnion zu heiraten. »Es tut mir leid, Sir Alasdair«, erwiderte sie leise. »Wahrlich, ich wünschte...«
»Ihr dürft sie nicht so mit Beschlag belegen, Sir Alasdair«, fiel Thais ihr ins Wort, denn sie fürchtete, ihre Schwägerin könnte Dinge sagen, die besser unausgesprochen blieben. »Und du bist ein grober Klotz, Jamie MacKinnion! Was stehst du untätig herum, statt uns mit deiner jungen Frau bekannt zu machen?«
Jamie warf seiner jüngeren Schwester einen dankbaren Seitenblick zu. »Sheena, das ist meine Schwester Thais - und dies ihr Mann, Ranald Keith. Meine Schwester Daphne hast du schon kennengelernt.«
Sheenas Wangen röteten sich, und sie lächelte Daphne zögernd an. »Ich fürchte, als wir uns gestern trafen, war ich ein wenig durcheinander.«
»Du brauchst mir nichts zu erklären, Sheena«, versuchte Daphne die arme junge Frau zu beschwichtigen. »Ich kann mich kaum noch an meinen eigenen Hochzeitstag erinnern und weiß nur mehr, dass ich schrecklich aufgeregt war. So geht es wohl allen Mädchen.«
Thais nahm Sheenas Arm, führte sie zum Kamin und erklärte, sie müßten einander besser kennenlernen, während sich die Männer amüsierten. Daphne folgte den beiden, und Jamie schaute ihnen misstrauisch nach. Was würde Sheena seinen Schwestern erzählen, wenn sie allein mit ihnen war?
Ranald beglückwünschte ihn zu seiner schönen jungen Frau, und dann traf ein halbes Dutzend Gregorys ein. Die nächste Stunde wurde dem Alkohol gewidmet, trotz der frühen Stunde, und Jamie war beschäftigt. Tante Lydia kam herunter und klagte über ihre quälenden Kopfschmerzen, eine Folge des vergangenen Abends. Sie setzte sich zu den Frauen am Kamin. Der Laird schaute alle paar Minuten zu ihnen hinüber, und bald sah er Sheena mit seinen Schwestern lachen. Ihre gute Laune brachte ihn in Wut. Wie konnte sie so sorglos über alles hinweggehen, was geschehen war?
Er musste mit ihr reden und sie zur Vernunft bringen. Sie war seine Frau, daran änderten auch die Dinge nichts, die sich außerhalb des Schlosses ereigneten.
34.
Die fröhliche Feier dauerte den ganzen Tag. Sheena unterhielt sich zu ihrer eigenen Verblüffung ausnehmend gut, gut vor allem während der Abwesenheit ihres Mannes. Er hatte die Halle verlassen, ohne einen Blick in ihre Richtung zu werfen, und kam einige Stunden später zurück, mit der gleichen finsteren Miene wie zuvor. Wie unzugänglich er war - wo sie doch so dringend mit ihm sprechen musste ... Seufzend zwang sie sich, ihn vorerst zu vergessen, und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder ihren Gefährtinnen zu.
Sie mochte Jamies Schwestern ebenso wie Tante Lydia, zu der sie von Anfang an eine tiefe Zuneigung gefaßt hatte. Woran lag es nur, dass sie sich so stark zu diesen netten MacKinnion-Frauen hingezogen fühlte? Lydia war so warmherzig und einfühlsam, Daphne etwas zurückhaltender, aber liebenswürdig und verständnisvoll. Und Thais, nicht älter als sie selbst, erschien ihr so munter und lebensfroh. Sheena beneidete sie, vor allem um ihre Verwandten. An eine so liebevolle Familie war sie nicht gewöhnt. Sie hatte zwar die Liebe ihres Vaters und Nialls besessen, aber ihre Schwestern waren ihr stets mit kühler Ablehnung begegnet. Der Unterschied zwischen den MacKinnion-Schwestern und ihren eigenen war erschreckend und erfüllte ihr Herz mit einer schmerzlichen Sehnsucht. Kein Wunder, dass Jamie manchmal so zärtlich zu ihr war... Darin hatte er sich von Kindheit an geübt, im Zusammenleben mit diesen beiden reizenden Mädchen.
»Oh, mein Dobbin ist endlich da!« rief Daphne.
Sheena drehte sich zum Eingang um und sah einen großen, vierschrötigen Mann hereinkommen. Sein Haar leuchtete ebenso brandrot wie sein Bart und die buschigen Brauen. Fast sein ganzes Gesicht war beharrt. Sheena konnte ihre Überraschung nicht verhehlen. »Das ist dein Gemahl, Daphne?«
Ihre
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