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Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sloterdijk
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Personifikation des Zorns in der Gestalt des großen Durcheinanderwerfers – »ich bin der Geist, der stets verneint« – wurde eine Zornzentrale geschaffen, von der bis an die Schwelle der Aufklärung unerschöpfliche Impulse ausgehen sollten. Indem der Teufel für die Belange dermenschlichen Thymotik zuständig wurde, verlieh er der christlichen Verwerfung der menschlichen Geltungsbedürfnisse, Kampfesgelüste und Konkurrenzneigungen – superbia! ira! invidia! – massivste Unterstützung. Nichtsdestoweniger gab seine Gestalt der Weltherrschaft des Zorns die nachdrücklichste Ausprägung. Der Lehrsatz, wonach der Teufel der Fürst dieser Welt ist, vermittelt einen Begriff vom Umfang seiner Kompetenzen. Mit der Abtretung der Welt an die teuflische Geschäftsführung und die davon untrennbare Diabolisierung des Thymotischen ging eine Aufstufung des Gottesbildes einher, begleitet von einer Herabstufung der menschlichen Sphäre: Seit die thymotischen Regungen Gottes zu großen Teilen in ein diabolisches Epizentrum ausgelagert werden, steigt Gott vollends in die erhabensten Sphären auf. Nun konnte sich der Kreis der göttlichen Eigenschaften ganz um die sublimsten Arkana schließen – wie die Himmelsrose im obersten Raum von Dantes Paradiso sie zeigen. Vom althergebrachten Zorn mußte in Gott selbst nur so viel beibehalten werden, wie für Behauptung seiner »Herrlichkeit« vonnöten war.
    Der Preis für diese Entlastung Gottes von der Exekutive seines Zorns ist das Heranwachsen einer förmlich durchgebildeten Gegenwelt des Bösen. Diese durfte keine volle ontologische Selbständigkeit in Anspruch nehmen – sonst hätte man die Existenz eines Gegengottes oder zweiten Prinzips zugeben müssen, was innermonotheistisch unmöglich ist. Doch auch in nachgeordneter Stellung übt das Böse genug Macht aus, um sich als Quelle zahlloser Übel Beachtung zu verschaffen. Seither sind die Beziehungen zwischen Gott und den widersacherischen Gewalten durch die Dialektik von Unterordnung und Aufruhr bestimmt. Beide Regungen charakterisieren eine Welt, in der sich die Hierarchie zur dominierenden Denk- und Lebensform entwickelt hatte. Nur in einem Universum, in dem alles gemäß den Stellungen auf Rangstufen geordnet werden soll, konnte sich jene Deutungdes Bösen als Rangumkehrungsversuch geltend machen, die nicht nur das christliche Bild des Satans charakterisiert, sondern bis in Nietzsches Kritik der ressentimenthaften Verkehrungen fortlebt.
    Für unsere Fragestellung ist ausschlaggebend, daß mit der Erfindung des Bösen – als Figur und als Region – radikal neue Möglichkeiten der Zornaufbewahrung und Zornvollstreckung erschlossen werden. Das Reich des Bösen gewinnt dank seines Machtzuwachses eine Vielfältigkeit und Farbigkeit, die in der Geschichte der Ideen wie der Ängste nicht ihresgleichen haben. Gewiß war, wie gesehen, der älteren monolatrischen und monotheistischen Religionswirklichkeit der didaktische, therapeutische und majestätspolitische Gebrauch des Schreckens nicht fremd. Jedoch erst seit dem Auftritt des Bösen in der christlichen Theologie läßt sich von einer gemeinsamen Geschichte von Religion und Terror sprechen.

Gefäße des Zorns, höllische Depots:
Zur Metaphysik der Endlagerung
    Wir wollen diese psychohistorischen Scherenschnitte durch ein kurzes Resümee der christlichen Zorn-Gottes-Doktrinen und der entsprechenden Teufelszornfiguren abschließen. Für beide lag, wie angedeutet, der Ausgangspunkt in der Apokalyptik der Seleukidenzeit, als bei den Asidäern das dramatische Konzept des unmittelbar bevorstehenden Weltendes eindringlich formuliert wurde. Die Voraussetzung für die Schaffung dieses neuen religiösen Archetypus war eine vertiefte Individualisierung des Glaubens. Eine solche Akzentverlagerung drängte sich auf angesichts eines politischen und sozialen Horizonts, in dem sich nicht die geringsten Anzeichen einer äußeren Wende zum Besseren entdecken ließen.
    Apokalyptik ist die religiöse Form der Weltpreisgabe, wie sie allein in einer Lage entstehen konnte, in der sich die Einzelnen und Gruppen nur als ohnmächtige Zuschauer von Machtkämpfen zwischen überlegenen Gewalten empfanden. Es gibt gute Gründe für die These, daß die Erfindung des Zuschauers in der Antike durch die jüdische Apokalyptik zu ihrem Abschluß gekommen ist: Wenn auch die Griechen das Theater und das Stadion geschaffen haben, denen die Römer das blutige Kampfspiel in der Arena hinzufügten, hat sich doch erst

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