Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
sich in erster Linie mit seinen staunenerregenden Leistungen als strategischer Kopf des fünfundzwanzigjährigen Bürgerkrieges, in dem um die Macht im postfeudalen China gefochten wurde. Die Protagonisten dieses epischen Kampfes, der Kuomintang und die Kommunisten, kooperierten zunächst von 1924 bis 1927, dann wieder von 1937 bis 1945, in der ersten Phase beim gemeinsamen Vorgehen gegen die Kriegsherren in den Provinzen des Landes, in der zweiten gegen die japanischen Invasoren. Von 1927 bis 1936 und von 1945 bis 1949 standen sie sich, teil scheinbar, teils wirklich, als erbitterte Feinde gegenüber. Maos militärische Lehrjahre hatten begonnen im Widerstand der kommunistischen Truppen gegen die Alleinherrschaftdes nationalrevolutionären Generals Chiang Kai-Chek, der nach seinem berüchtigten Schlag vom März 1927 gegen die bis dahin mit ihm alliierten Kommunisten in Shanghai die vollständige Macht an sich gerissen hatte. André Malraux hat in seinem Roman La condition humaine von 1933 den Überfall der Kuomintangkämpfer auf die Kommunisten von Shanghai als Hintergrundaktion gewählt, um eine von Haß und aktiver Verzweiflung durchtränkte Szene abzubilden. Vor dieser Folie gewann die Idee des absurden Engagements an Profil, die in der Sartreschen Variante nach 1945 ihren Schatten über die europäische Intelligenz werfen sollte.
Mao Zedongs strategische Intuitionen gingen von der Feststellung aus, der diffuse antifeudale Zorn der chinesischen Bauern»massen« bilde nur eine unzureichende Basis für die Mobilisierung der von ihm benötigten asketisch-heroischen Truppe. Da es sich für Mao nie um die Organisation einer industrieproletarischen Bewegung handeln konnte – China war in dieser Hinsicht noch unterentwickelter als Rußland im Jahr 1917 –, stieß er sehr früh auf das Problem, wie mit bloßen bäuerlichen Energien eine effiziente Kriegsmaschine zu konstruieren wäre. Die Lösung bestand im Entwurf einer Guerilladoktrin, die auf den Kampf kleiner mobiler Truppen mit den massiven Verbänden der Staatsmacht zugeschnitten war. Sie beruhte auf dem so einfachen wie wirkungsvollen Grundsatz, die Übermacht des Gegners als Hebelkraft für die Steigerung der eigenen Kräfte zu benutzen. Mao beobachtete, wie die Brutalität des von Chiang Kai-Chek geführten staatlichen Militärapparats die erregte Menge der Landbewohner auf den nötigen Grad der Verzweiflung trieb, um sich unter geeigneter Anleitung gegen bewaffnete Invasoren auf eigenem Boden bis zum Äußersten zur Wehr zu setzen.
Indem er hieraus die letzten Konsequenzen zog, gewann Mao die Einsicht, daß für die Schwachen die Mobilisierung des Äußersten der Schlüssel zum Erfolg ist. Diese konntefreilich, wie er dozierte, nicht allein durch einen »revolutionären Agrarkrieg« erfolgen. Viel besser geeignet für die gewünschte große Mobilisierung sei ein Nationalkrieg – und hierzu sollte ihm die japanische Invasion von 1937 die erwünschten Bedingungen liefern. Sebastian Haffner hat diese kriegsgeschichtlich bedeutsame Wende als die Erfindung der »Totalguerilla« bezeichnet – mit deutlicher Anspielung auf Goebbels’ hysterische Proklamation des »totalen Kriegs«. Mao hat nicht weniger als die Tatsache bewiesen, daß auch der Kleinkrieg in sein spezifisches Extrem steigerbar ist.
In einem luziden Kommentar zu Mao Zedongs kriegstheoretischen Schriften hat Haffner die Ausbeutung des Nationalkriegs für die Zwecke der Revolutionsguerilla als Maos epochemachende Innovation herausgestellt. Ihr Prinzip ist die integrale Mobilisierung radikalisierter Kämpfer, die sich einer großen Übermacht mittelmäßig motivierter Truppen entgegenstellen. Entscheidend ist hierbei die Entschlossenheit der Führer, den eigenen Truppen im Gefecht stets jede Rückzugsmöglichkeit abzuschneiden, um sie der absoluten Stresssituation auszusetzen. Auf diese Weise sollte der Krieg gleichsam auf die molekulare Ebene projiziert werden. Noch das kleinste vom Krieg erfaßte Dorf mußte sich nach dem Willen der Kommandanten in einen Reaktor aus opferwilliger Verzweiflung verwandeln. Der entsprechende Wahlspruch Maos lautete: »Chinas Kraft liegt in seiner äußersten Not.« 75 Der revolutionäre Volkskrieg wollte ein tägliches Plebiszit der Exzeßbereitschaft darstellen. Der größte Führer wäre folglich der Stratege, der seine Truppe ausschließlich dort in den Kampf führt, wo ihr verzweifelter Furor den Sieg verspricht.
Während nach Clausewitz der Krieg »ein Akt der
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