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Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zorn und Zeit: Politisch-psychologischer Versuch (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sloterdijk
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Gewalt« ist, um einen »Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen«, geht Mao von dem Axiom aus, Krieg sei nichtsanderes als das Verfahren, »sich selbst zu erhalten und den Feind zu vernichten«. Dies ist die Kriegsdefinition des biopolitischen Zeitalters, das die Weltbühne allein von konkurrierenden Lebenskomplexen bevölkert sieht. Hierbei wird, nota bene , Konkurrenz nicht als Appell an das Urteil des Marktes über das brauchbarste Produkt verstanden, sondern als Vernichtungswettbewerb auf dem Schlachtfeld der Vitalitäten. Dank dieser Zuspitzung war ein Weg gefunden, die amateurhaften Züge im Terrorhandeln der Bakuninschen Revolutionäre zu überwinden und durch einen konsequenten Exterminismus zu ersetzen – wie man ihn sonst nur aus Hitlers Rassenkampfkonzepten und ihrer Umsetzung durch den faschistischen Staat (allenfalls aus Lenins und Sinowjews kaum verhohlenen Imperativen der globalen Dezimierung) kennt.
    Mit Maos Totalguerilla ist eine Vorstellung von »Wachstum« verbunden, die es den anfangs nur schwachen kämpfenden Zellen erlaubt, den Körper des Feindes allmählich zu korrumpieren, indem sie sich selber auf seine Kosten kaum merklich, aber stetig vermehren. Man könnte von einem Kriegsmodell sprechen, das dem Vorbild der Krebserkrankung folgt. Die Strategie Maos besitzt also große Ähnlichkeit mit einer politischen Kanzerologie. In Sebastian Haffners Worten: »den Feind überwachsen, ihn totwachsen« – »das ist das Wesen Maoscher Kriegführung«. 76 Die bizarre Vorliebe Maos für unpopulären »langen Krieg« entsprang der Einsicht, daß die revolutionären Zellen für ihr vernichtendes Wachstum in einem großen Land viel Zeit brauchen. 77
    Schon diese wenigen Hinweise machen klar: Mao Zedong ist zu keinem Zeitpunkt seiner Laufbahn Marxist gewesen,sosehr er sich auch bemühte, durch Rückgriff auf die leninistische Rhetorik den Schein revolutionärer Korrektheit zu wahren. Mit seiner Überzeugung von der Möglichkeit des großen Sprungs Chinas aus dem Feudalismus in den Kommunismus glich er viel eher einem Konzeptkünstler, der den vorgeblich leeren Raum seines Landes durch eine grandiose Installation ausfüllen wollte. Hiermit montierte er ein ostasiatisches Gegenstück zu dem »Gesamtkunstwerk Stalin«, von dem Boris Groys in seiner Rekontextuierung des sowjetischen Avantgardismus gesprochen hat. 78 Mao trat als mystischer Voluntarist hervor, dessen Überzeugungen eher in einer primitiven Ontologie des immerwährenden Kampfes als in einer Entwicklungstheorie westlichen Zuschnitts gründeten. Man könnte die basalen Annahmen des chinesischen Revolutionsführers am besten als eine frugale Form von Naturphilosophie bezeichnen, in der das Motiv der Bipolarität den Ton angibt. Der Bauernsohn Mao war, um typologisch zu reden, ein Neo-Vorsokratiker östlicher Schule. Er übersetzte konventionelle taoistische Intuitionen in den Jargon der politischen Ökonomie, mit der er sich übrigens zeitlebens nur oberflächlich befaßte. Von Eigentum, Industrie, Bankwesen und Stadtkultur wußte er so gut wie nichts, über die Bauern lehrte er, daß es große, mittlere und kleine gibt und die letzteren die große Mehrheit bilden, weswegen man sich dieser Gruppe bemächtigen müsse. Man kann teilweise nachvollziehen, warum diese Mixtur aus Marx und Laotse auf viele Beobachter und Besucher einen Eindruck von Tiefe machte. Manche westliche Schwärmer, wie der junge Philippe Sollers, auch sonst um Fehlurteile selten verlegen, meinten geradezu, es handle sich bei ihm um eine chinesische Verkörperung von Hegel. Mit ein wenig Abstand sieht man jedoch, daß lediglich die Kreuzung zweier Arten von Platitüden vorlag, wie sie sich nur in einem großen Mann begegnen.
    Was die Moskauer Weltbank des Zorns anging, mußte sie schon früh auf den Aktivisten Mao Zedong aufmerksam werden. In einer Zeit, als die Weltrevolution in den industrialisierten Ländern keinen Schritt von der Stelle kam, wurden Nachrichten von anderen Kampffronten für den Kommunismus genauestens verfolgt – auch solche aus dem chaosgeplagten Feudal- und Agrarland China, das für die Komintern auf absehbare Zeit mehr eine Belastung als eine Stütze zu werden versprach. Eher aus spekulativen Gründen denn aus Sympathie wurden Maos Initiativen von der Komintern erheblich gefördert, ebenso wie übrigens die von Chiang Kai-Chek, da es der Moskauer Geschäftsleitung gefiel, sich in der Rolle des Drahtziehers an konkurrierenden Puppen zu sehen.

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