Zorn - Vom Lieben und Sterben: Thriller (German Edition)
Arbeit etwas bewegen konnte.
Eine Straßenbahn rumpelte vorbei, sie legte das Tageblatt beiseite und griff die Boulevardzeitung. Seit Tagen wurde spekuliert, wer der mysteriöse Geistliche war, der auf der Intensivstation des Stadtkrankenhauses lag. Woher die Presse überhaupt davon erfahren hatte, wusste niemand, aber die Schlagzeilen waren eindeutig: WER IST DER KILLERPRIESTER? , hatte die Zeitung gestern getitelt.
Sie trank einen Schluck Kaffee und blätterte um. Heute wurde ein Foto der Intensivstation gezeigt, ein roter Pfeil wies auf ein Fenster . Hier liegt der gottlose Geistliche! , lautete die Bildunterschrift.
»Verdammte Aasgeier«, murmelte sie und legte das Blatt beiseite, »aber immerhin sind sie kreativ, diese Journalisten.
Der gottlose Geistliche , ich lach mich tot. Was kommt als Nächstes? Der perverse Pastor? Der brutale Pfaffe? «
Sie kicherte leise.
»Was ist so lustig?«
Frieda Borck sah auf. Am Nebentisch saß ein braungebrannter junger Mann mit kurzen blonden Haaren. Sie erinnerte sich, ihn öfter hier gesehen zu haben.
»Nichts.«
»Schade.« Er lachte und zeigte ein paar weiße, regelmäßige Zähne. Der Blick, mit dem er ihre Beine streifte, war nicht zu übersehen. »Kann ich dir was zu trinken kommen lassen?«
Sie schüttelte den Kopf und deutete auf ihr halbvolles Glas.
Sein Grinsen wurde breiter. »Vielleicht was anderes?«
»Auch nicht, und bevor du fragst: Ich hab heut Abend schon was vor. Und jetzt«, sie griff wieder nach der Zeitung, »würde ich gern weiterlesen.«
Ein paar Worte wurden am Nebentisch gemurmelt, es klang wie Fick dich selbst, blöde Zicke , und sie war kurz davor, dem Kerl die Meinung zu sagen, als ihr Handy klingelte.
»Borck hier«, meldete sie sich etwas lauter als gewöhnlich.
»Jan Czernyk, guten Abend.«
»Woher haben Sie diese Nummer?«
Das war ihr erster Gedanke, sie wunderte sich selbst, warum sie ihn laut aussprach.
»Ich bin Polizist, Frau Borck.«
Czernyks Stimme klang anders, als sie es in Erinnerung hatte. Warm, leise, ruhig.
»Wie konnte ich das nur vergessen«, erwiderte sie und stellte verunsichert fest, dass ihr Atem sich beschleunigte. »Was wollen Sie?«
»Ich muss Sie sprechen.«
»Warum?«
»Nicht am Telefon.«
»Dann morgen im Büro.«
»Nein, sofort.«
Das waren kurze, präzise Feststellungen, keinen Widerspruch duldend. Auch nicht von ihr, der Staatsanwältin.
Sie nannte ihm den Namen des Clubs.
»Ich bin in zehn Minuten da«, sagte Czernyk ruhig.
»Nein.« Frieda Borck überlegte kurz. Sie musste noch einmal nach Hause. Duschen, etwas anderes anziehen. »In zwei Stunden.«
»Okay.«
Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte Czernyk aufgelegt.
Als sie aufsprang und zum Auto lief, war der Mann am Nebentisch verschwunden.
*
Von draußen näherten sich Schritte, dann quietschte die alte Gartenpforte in den rostigen Angeln. Als die Tür der Laube sich öffnete, hob der Hund müde den Kopf. Die dunkle Gestalt des Menschen erschien am Eingang, Licht fiel in einem schmalen Streifen herein. Kühle, frische Luft strömte in den stinkenden Raum. Die durchsichtige Plane auf der Matratze raschelte, ob vom Luftzug oder deshalb, weil das Bündel sich darunter bewegt hatte, war schwer zu sagen.
Der Hund erhob sich schwerfällig.
Bleib.
Zwei Schritte, und der Mensch war bei ihm. Griff das Halsband und zog ihn näher an die Heizung. Die kurze Leine straffte sich und wurde festgeknotet. Jetzt war sie nur noch einen knappen Meter lang. Der Hund ließ es widerstandslos geschehen, er roch das Fleisch in der Hand des Menschen. Es war ein großes Stück, es dauerte ein paar Sekunden, bis er es hinuntergewürgt hatte.
Das Fleisch war trocken und salzig. Sehr salzig.
Hast du Durst?
Der Hund fuhr sich mit der Zunge über das Maul. Sein linkes Auge war blutunterlaufen und entzündet. Eiter trat in einem dünnen Rinnsal hervor und verklebte das schmutzige Fell.
Du wirst bald trinken. Allerdings kein Wasser.
Der Mensch drehte sich um, stand jetzt direkt vor der Matratze. Eine Weile stand er schweigend da. Dann versetzte er dem Bündel einen leichten Tritt.
Keine Reaktion.
Der Hund spitzte die Ohren.
Der Mensch ging.
*
Sie saßen oben, im Kaminzimmer. Die cremefarbenen Wände und die dunklen, polierten Tischplatten spiegelten sich im Licht der Kerzen. Marc Cohn sang Walking in Memphis , die Musik wurde von den schweren Teppichen gedämpft.
»Was ist denn so wichtig?« Frieda Borck tat, als würde sie die Speisekarte
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